Toro Y Moi – „Mahal“ (Rezension)

Von Simon Strehlau, 3. Mai 2022

Bild des Albumcovers von „Mahal“ von Toro Y Moi

Toro Y Moi – „Mahal“ (Dead Oceans)

8,2

Die Straße als Kunstmotiv ist eine heikle Sache, so oft wurde es bemüht. Doch auf seinem siebten Album und gleichnamigen Kleinbus „Mahal“ widmet sich Toro Y Moi der Fortbewegung und den Geschwindigkeiten des Lebens ganz ohne romantische Verklärung. Ein Album über die Verlockung der Weite, die Facetten von Distanz und viel zu kurze Wochenenden.

Unterwegs ist Chaz Bear, der Kreativkopf hinter Toro Y Moi, schon seine ganze Karriere, räumlich wie stilistisch. Aus seinem Schlafzimmer in South Carolina – von wo aus er einst das gefeierte Chillwave-Genre bereicherte, das vielleicht wie kein anderes für die Lo-Fi- und Selfmade-Ära der 2010er-Jahre steht – ging es an die Westküste nach Berkeley. Die Reise durch musikalische Einflüsse und Epochen ist zwischen damals und heute das Markenzeichen von Toro Y Moi geworden. Auch auf administrativer Ebene ist er weitergezogen und hat sein langjähriges Label, das ironischerweise den Namen Carpark trägt, verlassen. Neuer Wegbegleiter ist Dead Oceans (auf dem unter anderem Japanese Breakfast, Mitski und Phoebe Bridgers ihre Alben veröffentlichen).

Roadtrips sind für Toro Y Moi also keine neue Erfahrung. Schon im Videostream für sein vorletztes Album „Boo Boo“ (2017) entführte der Musiker uns auf dem Rücksitz durch Sonnenaufgänge und -untergänge in der Bay Area. Doch obwohl er sich auf „Mahal“ jetzt auch inhaltlich den Fahrten widmet, ist Toro Y Moi stilistisch nie weniger expeditiv gewesen. „Mahal“ klingt mehr wie eine Wiederkehr zu eigenen Meilensteinen. Seit 2015 („What For?“) war die Gitarre nicht mehr so präsent, die psychedelischen Traumwandler-Momente von „Underneath The Pine“ (2011) kehren zurück. Und die starken Fusion-Jazz-Einflüsse aus seiner Zusammenarbeit mit The Mattson 2 („Star Stuff“, 2017) schnörkeln sich zurück ins Bewusstsein.

Die Pace des Lebens

Aber wozu auch ewig neuen Faszinationen nachjagen? „Just stop while you’re still ahead“, singt Bear auf „Last Year“. Und stellt in den Raum, ob es bisweilen nicht besser ist aus der Hatz auszusteigen, bevor man sich selbst überholt. Der adoleszente Zweifel über sich und den Platz in der Welt weicht, wenn alles gut läuft, einem gewissen Selbstverständnis. Mit einem solchen skatet Chaz im Musikvideo zur Single „The Loop“ über den Asphalt, während die jüngeren um ihn herum auf ihren Brettern stehen, als täten sie es nur, damit die ganze Welt ihnen zusieht. Im direkten Vergleich fällt der Abstand auf, zur neuen Generation von Trendsettern, denen man weder im Skatepark noch auf Social Media entrinnen kann. Da wächst der Wunsch: „Someone gotta keep me in the loop, please.“ Niemand wird gern abgehängt. Fragmente eines Wochenendes an dessen Ende wehmütig festzustellen bleibt:
„Oh my, where did the weekend go / Oh man, Monday snuck up so fast.“

Dabei hatte Chaz Bear auf „Magazine“ doch schon entziffert, dass die flammende Eitelkeit der Jugend längst zu einem guten Geschäftsmodell verkommen ist: „This man in the magazine / Is just us we wanna see.“ Einen Ausweg bietet, Distanz zwischen sich und die Leiden der Gesellschaft zu bringen: „I wanna be away from everyone / I shattered all the daylight in the sun“, haucht Gastsängerin Salami Rose Joe Louis, als wäre sie tatsächlich fast gar nicht da. So geht es mehr wiegend als wogend dahin auf der „Road Of clarity“. Man ist eben nicht mehr „Seventeen And Restless“ („Clarity“).
Bei allem Hitzeflimmern dieses extrem warmen Albums – neu ist der klare Ausflug in die 60er und 70er. „Foreplay“ schmeckt auf den letzten Takten kräftig nach ZZ-Top-Bluesrock, bevor durch rückwärts gespulte Fuzzgitarre auf „Déjà Vu“ ein Wiedersehen mit Beatles-Ästhetik arrangiert wird. Das sonnengeschmolzene Wah-Pedal ist sowieso ein ständiger Begleiter, während auf „Postman“ ein sloppy Funk aus dem Bus stolpert. Und aus irgendeiner Ecke muss wohl immer einer gerufen haben: Mach‘ ma‘ mehr Flanger!

Auf erprobte Qualitäten zu vertrauen, ist ja nicht zwingend Reproduktion. Man muss nicht immer was Neues machen. Es ist schwer genug das Richtige zu tun. Wenn einem die eigenwillige Dynamik des Lebens mit einer unerwarteten Eskapade begegnet, holt man also schnell den Stift raus, bevor das Gefühl verfliegt: „Guess I better mark my calendar / Spent too many days in love.“ Denn auch diese Reise „Goes By So Fast“, der nächste Termin kommt sowieso.

Veröffentlichung: 29. April 2022
Label: Dead Oceans

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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