Various Artists – „Klar! 80 – Ein Kassetten-Label aus Düsseldorf 1980-82“ (Rezension)

Von Jan Boller, 18. Juli 2023

Cover des Samplers „Klar! 80“

Various Artists – „Klar! 80“ (Bureau B)

7,0

Das Grönland-Label hatte den labeleigenen Kraut- und Elektroschwerpunkt für bisher zwei Sampler nach Düsseldorf verlegt und auf „Electri_City 1“ und „Electri_City 2“ vornehmlich die großen Namen der Stadt mit den jeweils bekanntesten Stücken platziert. Krautrock von Neu! und La Düsseldorf wechselte sich ab mit (Prä-)Industrial von Die Krupps und DAF oder Ambient von Wolfgang Riechmann. Trotz der tollen Musik blieb das ein etwas oberflächlicher musikalischer Rundgang durch „Electri_City Düsseldorf“ und war vor allem als Ergänzung zum gleichnamigen Buch von Rudi Esch zu verstehen.

Da ist es ein Glück, dass das Hamburger Label Bureau B eine Schicht tiefer nach Musik und Subkultur zwischen NDW, Punk und genialem Dilettantismus gräbt. Schon auf „Sammlung – Elektronische Kassettenmusik, Düsseldorf 1982-1989“ hat sich das Label dem Medium Kassette gewidmet und auch mit dem Artwork (alles grau, grau, grau) eine Antithese zur Hochglanzästhetik der Grönland-Compilations formuliert.

Freejazz / Fakejazz

Diesmal gehen Label und Kurator Stefan Schneider (u. a. To Rococo Rot) noch weiter in der Zeit zurück und haben mit „Klar! 80 – Ein Kassetten-Label aus Düsseldorf 1980-82“ einen Sampler zusammengestellt, der die Jahre 1980 bis 1982 des Klar!-80-Labels („a label with no program“, aber alle Releases hatten ein schwarz-weißes Cover auf gelbem Papier) ganz genau beleuchtet. Die Originale sind teilweise völlig rar und sehr gesucht. Da tut die fein kuratierte Vergangenheitsbewältigung von Bureau B dringend not.

Das hier ist das trostlose Düsseldorf der 80er-Jahre. Die Produktionen klingen dementsprechend oft so, als würden sie von Betongebäuden widerhallen. Strafe für Rebellion inszenieren den Opener „Blaue Mig“ als Klanginstallation, ebenso P.Projekta / G.Ranzz mit „M4“ und Ralph und Ernie. Letztere sind dem „Privat“-Release entnommen. Genau wie Rara, Axel & Ralph (anderer Ralph) sind das einfach Aufnahmen von gerade zufällig im Studio anwesenden Musikern und/oder Sound Engineers. Spätestens hier wird deutlich, auf „Klar! 80“ gibt es neben toller Musik und toller obskurer Musik manchmal auch einfach nur obskure Musik.

Ursuppenmusik des Düsseldorfer Undergrounds

Der wahrscheinlich bekannteste Interpret des Samplers, Xaõ Seffcheque, NDW-Tausendsassa und späteres Mitglied von Family 5 (und im Mai dieses Jahres gestorben), spielt mit seiner Band (Xaõ Seffcheque und der Rest) im Nicht-ganz-Instrumentalstück „Mir fehlen die Worte“ elektronischen Freejazz-Dub oder so was in der Art. Das klingt tatsächlich noch am professionellsten. Elektro und Dub sind sowieso sehr präsent auf „Klar! 80“, allerdings ist es mit klaren Genredefinitionen so eine Sache bei dieser Ursuppenmusik des Düsseldorfer Undergrounds.

Und es rumpelt teilweise mächtig. So zum Beispiel bei Eraserhead, deren Track „OT“ wilde Drums mit irgendwie nach türkischer Folkloremusik (!) klingendem Synthie duellieren lässt. Klingt wie Battles in Lo-Fi. Sehr gut! Oder Roter Stern Belgrad (mit Labelgründer Rainer Rabowski) und ihr Monotonie-Klopper „Blas Dein Knie ein“. Was sind das für Namen, was ist das für Musik! Die ganz besonderen Blässe (wieder mit Xaõ Seffcheque, auch Neubauten-Mitglied Alexander Hacke war mal kurz dabei) fakejazzen zum Abschluss nochmal komplett alles weg. Bei so viel Reise zurück zum Beton ist es nur jammerschade, dass ausgerechnet S.Y.P.H. fehlen.

Veröffentlichung: 14. Juli 2023
Label: Bureau B

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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