Was ist Musik Schluckauf from Hell – R.I.P. Alan Vega
In diesen Tagen wird der 40. Geburtstag von Punk begangen. Dazu gibt es zwei konkurrierende Erzählweisen. Die erste besagt, dass Punk in den Metropolen 1976/77 der Rockmusik in den Arsch getreten und sie so wieder ins Laufen gebracht hat. Punk als Frischzellenkur für den träge gewordenen Rock. Die andere Definition versteht Punk als historischen Bruch. Die alten Lieder sind gesungen, die alten Lügen sind durchschaut – tabula rasa. Punk als nicht mehr hintergehbarer Point of Desillusionierung: wer einmal da durchgegangen ist, der ist immun gegen falsche Versprechungen. Das nuyorikanisch-jüdisch-weiße Duo mit dem unmissverständlich konfrontativen Namen Suicide wird keiner der beiden Lesarten gerecht und ist genau darin Punk, avant la lettre, frühe Siebziger. Martin Rev, Billigkeyboards, und Alan Vega, Stimme, aufgewachsen im New York der Fünfziger, „in glorious isolation from the rest of America“ wie Kris Needs in seiner Biografie „Dream Baby Dream: Suicide, A New York Story“ formuliert, sind getrieben von einer existenziellen Liebe zu Jazz, R&B, Doo Wop und Rock´n´Roll, oder, so Needs, von einer „natural love of black music“. Vor ein paar Jahren sagte Vega, dass es ihm das Herz bricht, wenn er sieht, wie die jungen Schwarzen heute dem Antisemiten Farrakhan nachlaufen, wo doch Juden und Afroamerikaner in der Bürgerrechtsbewegung Seite an Seite gekämpft hatten. Suicide waren eben auch imprägniert von einer existenziellen Erfahrung der Negation, der Vernichtung, die es ihnen verbat, sich damit zufriedenzugeben, jene aufregende Kreuzung aus Elvis und Kraftwerk zu sein, die faule Kritiker in ihnen sehen wollten. Sicher, keiner konnte den Elvis-Schluckauf besser als Vega, nicht mal Elvis, und wenn er „Dream Baby Dream“ sang, dieses in seiner Reduktion auf die Essenz des Pop – Dream! Baby! – so unschlagbare Speedmelodram, dann war er dort oben bei Elvis und dem „Blue Moon“. Aber Vega war auch der Elvis from hell. „Als die Juden zu den Konzentrationslagern transportiert wurden kamen sie an einem wunderschönen Bahnhof an. Aber dann gingen sie, vorbei an hübsch bemalten Wänden, direkt in die Hölle. Und genau das taten Marty (Rev) und ich mit Suicide: wir gaben ihnen Treblinka.“ Den angeblich hartgesottenen Punkfans gaben sie dermaßen Treblinka, dass diese mit einem Bierdosenhagel antworteten, frühe Suicide-Konzerte endeten schon mal im Inferno. Zu den fiebrigen Rockabilly-Mutanten aus Marty Revs selbstgebastelten Maschinen sang Vega von Geisterfahrern und Amokläufern. Und von Frankie Teardrop. Der schuftet in der Fabrik, kriegt es nicht hin, bringt nicht genug Geld heim: Frankie is so desperate, He's gonna kill his wife and kids. Solo singt Vega von Vietnam-Veteranen. Der Hölle von Vietnam entkommt der 1938 als Boruch Alan Bermowitz in Brooklyn geborene Vega auf seine Art. Bei der Einberufungsbehörde stellt er sich so vor: „Okay, give me a gun, I wanna fight, I wanna kill, I WANNA KILL.“ So einen wollten sie dann doch nicht als Soldaten. „Rock and Roll is killing my life“ heißt einer der emblematischen Suicide-Songs. Am vergangenen Samstag starb Alan Vega im Alter von 78 Jahren.
Weitere Ausgaben von Was ist Musik
Playlist
1. |
Suicide / Rocket USA Suicide / Red Star |
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2. |
Martin Rev / Red Sierra Cheyenne / Marylin |
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3. |
Suicide / Ghost Rider Suicide / Red Star |
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4. |
Martin Rev / Cheyenne Cheyenne / Marylin |
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5. |
Suicide / Frankie Teardrop Suicide / Red Star |
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6. |
Martin Rev / Prairie Star Cheyenne / Marylin |
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7. |
Suicide / Dream Baby Dream Dream Baby Dream / Red Star |
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8. |
Bruce Springsteen / Dream Baby Dream Dream Baby Dream / Blast First |
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9. |
Hot Chocolate / Every 1’s A Winner Every 1’s a winner / BMG |
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10. |
Suicide / Rock’n’Roll Is Killing My Life Ghost Riders – ROIR Sessions / ROIR |
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11. |
Hifi Sean & Alan Vega / A Kiss Before Dying A Kiss Before Dying / Soundcloud |
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12. |
Alan Vega, Alex Chilton, Ben Vaughn / Freedom Cubist Blues / Light In The Attic |
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