Faye Webster – „Underdressed At The Symphony“ (Rezension)

Von Henning Tudor-Kasbohm, 28. Februar 2024

Cover des Albums „Underdressed At The Symphony“ von Faye Webster

Faye Webster – „Underdressed At The Symphony“ (Secretly Canadian)

7,9

„Underdressed“ zu sein, also zu einfach und alltäglich gekleidet für einen besonderen Anlass, ist für gewöhnlich eine unangenehme Vorstellung. So findet man sich eher in Angstträumen in verwaschene Jeans und löchriges T-Shirt gewandet inmitten eines fein bezwirnten Klassikkonzertpublikums wieder. Für Faye Webster hingegen ist dies ein Wohlfühlszenario. Oft hat sich die US-amerikanische Singer-Songwriterin aus Atlanta in letzter Zeit spontan das Atlanta Symphony Orchestra angesehen. Damit hat sie so manchen einsamen Tag gerettet, an dem sie Ablenkung in der Anonymität der Menschenmenge fand. Webster fand „die Symphoniebesuche fast therapeutisch. Dort war ich buchstäblich underdressed, weil ich erst im letzten Moment beschloss, hinzugehen. Ich konnte kurz aus einem beschissenen Lebensabschnitt in eine andere Welt ausbrechen. Ich mochte das Gefühl, nicht dazuzugehören.“

Musikalisch schlagen sich die Symphoniebesuche jedoch nicht merklich nieder. Sicherlich schöpfen die fein ziselierten Arrangements auch manchmal aus dem Orchestergraben. Beispielsweise schwellen in der „zugleich romantischen und antiromantischen“ Leadsingle „But Not Kiss“ unter Klavier und Slide-Gitarren Streicher an und ab. Aber Streichinstrumente haben Webster stets begleitet. Auf ihrem americanalastigen Frühwerk noch in Form der Country-Geige. Doch seit dem ihrer LP „Atlanta Millionaires Club“ (2019) vorausgehenden allgemeinen kreativen Wachstumsschub bettet Webster raffiniertere Streichersätze eher subtil ins Arrangement.

Country-Soul und heilende Momente

Überhaupt zählt die Subtilität zu den auffälligsten Merkmalen von Faye Websters Musik. Allerdings sollte man diese nicht mit schüchterner Leisetreterei verwechseln. Vielmehr fühlt sich die Musikerin wohl wie nie in ihrer Haut und weiß sehr genau, was sie tut. Für sie dokumentiert „Underdressed At The Symphony“ den Beginn eines „aus der Asche alter Routinen geschaffenen neuen Lebens“. Wie ihre Musik ist „[d]iese Wiedergeburt nicht auffällig oder endgültig, sondern eine Reihe heilender Momente, die sich über Wochen und Monate erstrecken“. Entsprechend werfen die Songs Schlaglichter auf diese Zeit. Dabei offenbart Webster weniger Sternstunden der Selbsterkenntnis, sondern lässt uns an kleinen, aber wichtigen Einsichten teilhaben.

So beschreibt die Country-Soul-Nummer „Wanna Quit All The Time“ die Arbeit daran, die eigenen Unsicherheiten zu erkennen und hoffentlich irgendwann zu überwinden. Auf musikalischer Ebene schafft es ansonsten höchstens Matthew E. White, Neil Youngs 70er-Countryphase mit derart elegantem Understatement mit dem Folk-Soul eines Terry Callier zu vereinen. Allgemein steckt in Websters Musik mehr Soul, als ihr oft ausdrucksarmer Gesang vermuten lässt. Doch in allen Adern ihrer Songs pulsiert die Südstaaten-Musikgeschichte von Country und Folk über Rock zu Soul und R&B und sogar moderneren Entwicklungen. In „Ebay Purchase History“ kommt ein Bossa-Nova-Einschlag mit Holzblasgarnitur hinzu, wenn Webster mit trockenem Witz davon singt, Einsamkeit und Unzufriedenheit mit Internetkäufen temporär zu beschwichtigen.

Pointierte Miniaturen und Legoringe

Aufgenommen hat Faye Webster die neue LP mit ihrer altgedienten, perfekt eingespielten Band in einem texanischen Studio. Die gemeinsame Erfahrung hört man in den Feinheiten der Interaktion der Mitglieder, denn alle Stücke sind live im selben Raum eingespielt. Dazu gehört etwa der neo-soulig verschleppte Groove auf „Lifetime“ oder die an J Dilla gemahnenden versetzten Cross-Stick-Snare-Schläge auf „Ebay Purchase History“. Zu jazziger Country-Soul-Höchstform läuft die Gruppe im Album-Closer „Tttttime“ auf. Auch textlich kommt dieses Kleinod von einem Schlusspunkt als bemerkenswert pointierte Miniatur daher. In wenigen Worten fasst Webster das befreiende, aber auch herausfordernde und latent bedrohliche Gefühl zusammen, wenn man aufwacht und feststellt, dass man jede Menge Zeit gestalten kann. Beziehungsweise: muss.

Etwas weiter draußen ist der Anderthalbminüter „Feeling Good Today“, in dem Webster ihre Stimme per Vocoder und/oder Autotune (da ist die Quellenlage uneindeutig) durch den Wolf dreht. Fast erscheint es, als müsste sie sich zumindest formal distanzieren, um ohne ironische Brechung einen ausschließlich positiven Song zu singen. Vielleicht verneigt sie sich aber auch vor moderneren Rap-Produktionen. Denn Webster selbst ist schon lange in der HipHop-Szene Atlantas umtriebig. Daher kommt auch der einzige Feature-Gast, ihr Schulfreund Lil Yachty. Mit ihm teilt sie sich das Mikro auf „Lego Ring“, neben „He Loves Me Yeah!“ der einzige Rocksong des Albums. „Die Platte erschien mir bedeutungsschwanger, aber ich muss nicht immer tief gehen“, sagt Webster über den Song. „Ich kann mich auch einfach hinsetzen und über diesen kristallförmigen Lego-Ring singen, den ich unbedingt haben will.“

Veröffentlichung: 1. März 2024
Label: Secretly Canadian

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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