Clipping. – „Dead Channel Sky“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 17. März 2025

Cover des Albums „Dead Channel Sky“ von Clipping.

Clipping. – „Dead Channel Sky“ (Sub Pop)

William Gibson brauchte in seinem 1984 erschienenen Roman „Neuromancer“ nur einen einzigen Satz, um die gesamte Ästhetik des Mikrogenres Cyberpunk zusammenzufassen: „The sky above the port was the color of television, tuned to a dead channel“ – der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fernsehers, der auf einen toten Kanal eingestellt war. Mit diesem ersten Satz malte der US-Autor ein Bild, das genauso gut zu anderen Vertretern dieser Stilrichtung passt, wie der Film „Blade Runner“, das Manga „Akira“ oder der nach dem Genre benannten Tabletop- und Videospiel-Welt „Cyberpunk“: Eine zu Tode industrialisierte und trotzdem irgendwie lebendige, turbo-kapitalistischen Zukunft, in der übertechnisierte Individuen unterm grau-weiß krisselndem Fernsehrauschen-Himmel um ihr Überleben kämpfen müssen.

Dass Clipping. sich mit diesem Bild identifizieren können, sollte Fans des Trios nicht verwundern. Ist die Musik dieses Noise-Rap-Projekts doch stets von einem knisternden Rauschen durchzogen. Die Produzenten William Hutson und Jonathan Snipes stammen aus der kalifornischen Noise- und Power-Electronics-Szene. 2010 fanden sie mit Hutsons Kindheitsfreund Daveed Diggs einen ähnlich lärm-verliebten MC, der über ihre Industrial-Höllen-Musik auch noch rappen konnte. Seit dem noch sehr rohen 2013er Debüt-Mixtape „Midcity“ wurden ihre Beats ein bisschen greifbarer – ohne ihre Experimentierfreude zu verlieren. Hutson und Snipes meiden bis heute so weit es geht Synthesizer und andere „tonale“ Instrumente, stattdessen konstruieren sie ihre klackernden Klangskulpturen aus möglichst vielen zweckentfremdeten Gegenständen und Samples. Kein Clipping.-Track kommt ohne ein gewisses Maß an Rauschen, Quietschen, Fiepen oder Kratzen aus.

Klackernde Klangskulpturen

Mit ihrem nach Gibsons berühmten Satz benannten fünften Album „Dead Channel Sky“ haben Clipping. nun eine explizite Cyberpunk-LP erschaffen. Dass das Trio auf Film- und Literatur-Genres bezogene Konzeptwerke macht, ist nicht neu: Ihre vergangenen beiden Zwillings-Alben „There Existed An Addiction To Blood“ und „Visions Of Bodies Being Burned“ waren Explorationen über Motive aus der Welt des Horrors. Was tatsächlich an „Dead Channel Sky“ überrascht, ist die musikalische Form. Clipping. übersetzen den nostalgischen Sci-Fi-Spirit ihrer Inspirationen mit dem Sound, der in den 90er-Jahren nach der Zukunft klang: Electronica, Drum ’n’ Bass, Breakcore und Techno. Diggs, Hutson und Snipes haben zum ersten Mal tatsächlich tanzbare Musik geschaffen – die trotzdem herrlich aus allen Löchern pfeift.

Nach einem ausschließlich aus Dial-up-Modem-Piepen und Rap bestehenden Intro legen Clipping. in „Dominator“ mit ihrem dystopischen Dance los. Der Song sampelt den gleichnamigen niederländischen Hardcore-Klassiker, um direkt die Richtung vorzugeben. „Change The Channel“ folgt mit Breakcore in Überlichtgeschwindigkeit – wobei der Beat immer wieder von Harsh-Noise-Rauschen durchschnitten wird. In „Dodger“ ist es gnadenlos nach vorne preschender Drum ’n’ Bass, der den Puls nach oben schießen lässt – bis im anschließenden „Malleus“ Gast-Musiker und Wilco-Gitarrist Nels Cline ein bisschen Oldschool-No-Wave-Noise beisteuern darf. In „Run It“ präsentieren Clipping. ihre Variante von Detroit-Techno – die natürlich im Breakdown vom digitalen Fleischwolf verschluckt wird. Diese Lärm-Breaks nehmen aber nie das Tempo raus. Im Gegenteil: Der konstante Lärm treibt den Stresspegel nur weiter in die Höhe, als würde man konstant vom Noise verfolgt werden.

Dystopischer Tanz

Im Herzen handelt es sich hier natürlich immer noch um eine HipHop-Band, woran uns das Paradestück „Scams“ erinnert – mit einem Instrumental, das so klingt, als hätte man Pharrell Williams einer intensiven Elektroschock-Therapie unterzogen. Einer der wenigen Tracks, in denen Diggs und Gast-MC Tia Nomore in herkömmlichem HipHop-Tempo rappen dürfen. Der Rest dieses Albums ist für den Virtuosen Diggs ein maximaler Stresstest – den er mühelos meistert. Im Überschalltempo rast er über die D-’n’-B-Breaks von „Dodger“, als wäre es das Leichteste auf der Welt. In seinen Zeilen überwindet er mathematische Skill-Kategorien wie „Double-Time“- oder „Triple-Time“-Rap, stattdessen lässt er seine Silben so präzise und wieselflink durch den Raum sausen wie ein Jazz-Schlagzeuger seine Snare-Drum beim Solo. Wenn er so selbstverständlich durch diese Abfuck-Musik surft, kann man ganz vergessen, dass es sich bei Diggs um einen waschechten Broadway-Star handelt – parallel zu seiner Karriere als Noise-Dompteur war er der mit einem Tony-Award ausgezeichnete Star der Musical-Sensation „Hamilton“.

Als Texter verfolgt er den Grundsatz, den Clipping. seit ihrem Sub-Pop-Debüt „CLPPNG“ verfolgen: Keine einzige Zeile in der ersten Person, kein Platz für „Ich“ (das einzige gerappte „Ich“ stammt aus dem Mund von Feature-Gast Aesop Rock auf „Welcome Home Warrior“). Mit dieser Distanz erzählt er seine Geschichten von einer kalten Zukunft, die doch so sehr unserer Gegenwart ähnelt. Und findet dabei auch einen Satz, der ihre ganz eigene Clipping.-Ästhetik auf den Punkt bringt: „The waves are making your face hurt / Make the most of it.“

Veröffentlichung: 14. März 2025
Label: Sub Pop

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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