Die Aeronauten – „Neun Extraleben“ (Tapete Records)
Man hätte es eigentlich ahnen können, dass das Jahr 2020 so eine Katastrophe wird. Schließlich begann es mit dem Tod von Olifr Maurmann Guz. Am 19. Januar starb der Schweizer Musiker und Schauspieler an einem Herzversagen, nachdem er vier Monate lang auf ein Spenderorgan gewartet hatte. Er wurde nur 52 Jahre alt.
Das war ein wahrlich schwarzer Tag für die deutschsprachige Popmusik. Guz hatte diese seit fast drei Jahrzehnten mit vielen Songs bereichert. Erst mit eigens auf MC veröffentlichten Solowerken, dann als Anführer von Die Aeronauten und mit zahlreichen anderen Projekten: einer Gruppe mit Bernadette La Hengst und Knarf Rellöm namens Die Zukunft, dem Electro-Blues-Duo Naked In English Class mit Taranja Wu, außerdem mit den Bands Die Zorros, Zero Tornado – kurzum, viel zu viele, um sie hier alle aufzuzählen.
Die Aeronauten waren von Anfang bis Ende der Ankerpunkt seiner Karriere. 1991 in Schaffhausen gegründet, veröffentlichten sie neun LPs. Jede von ihnen war stilistisch unberechenbar: Das Guzsche Aeronauten-Universum konnte schunkelige Americana, schroffen Post-Punk, tänzelnden 2-Tone und knarzende Soul-Grooves enthalten. Man wusste nie genau, was die nächste Aeronauten-LP bereithalten würde. Am wenigsten trifft das auf die jetzt erscheinende, letzte LP dieser Band zu. Was kann man von „Neun Extraleben“ erwarten? Einem Album, das zehn Monate nach dem Tod des Bandleaders erscheint?
Kein sentimentaler Nachruf, sondern eine letzte Party
Nur das Beste. Trompeter Roman „Motte“ Bergamin, Gitarrist Lukas Langenegger, Saxofonist Roger Greipl, Bassist Marc Zimmermann und Schlagzeuger Daniel d’Aujourd’hui haben Guz eine würdevolle Abschiedsbotschaft geschaffen, zusammengesetzt aus bereits fertigen, 2019 vor seinem Krankenhausaufenthalt aufgenommenen Aeronauten-Stücken und von seiner Band zu Ende gedachten Skizzen, Textfetzen und Einzelspuren. Wenn am Anfang des Albums Guzs kratziger Bariton von „Diesem anstrengenden Leben“ singt, dann ist das pure Magie. „Wenn Du fragst, ob ich Dich liebe, dann sage ich ‚ja klar‘!“, heißt es da. „Es ist gar nicht so schwierig, denn eigentlich stimmt‘s ja.“ Schwer, dabei nicht sentimental zu werden.
Für solch einen posthumen Schwanengesang ist „Neun Extraleben“ aber auf Albumlänge erstaunlich und angenehm unsentimental. Die Aeronauten zeigen sich gewohnt schrammelig und gutgelaunt, wie in der fröhlich nach vorne ska-punkenden Single „Irgendwann wird alles gut“ und im angriffslustigen „Du kotzt mich an jetzt“. Einzig das getragene Instrumental „Lamento“ bringt die Melancholie – aber mehr im Stil einer New-Orleans-Jazz-Funeral. Das ist kein zarter Nachruf, das ist eine letzte Party. Die aber nicht den Ernst der Lage im Hedonismus ertränkt, sondern ein letztes Mal zeigt, was Guz und Die Aeronauten am besten können.
Veröffentlichung: 20. November 2020
Label: Tapete Records
Diskussionen
Ein KommentarJosephZZ
Mai 19, 20232005 Subaru