Joni Mitchell – „Court And Spark“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 9. Dezember 2024

Cover des Albums „Court And Spark“ von Joni Mitchell

Joni Mitchell – „Court And Spark“ (Asylum Records)

Da zum Jahreswechsel traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick in die Vergangenheit zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2024 ein Jubiläum gefeiert haben. In dieser Woche ist es „Court And Spark“ von Joni Mitchell, das in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden ist.

„Eine Malerin, die durch unvorhergesehene Umstände vom Weg abgebracht wurde“, so beschrieb Joni Mitchell sich selbst im Interview mit der Toronto Globe And Mail im Jahr 2000. Obwohl die kanadische Künstlerin als Musikerin und Songwriterin zum Weltstar wurde, war nicht die Gitarre, sondern der Pinsel ihr liebstes Werkzeug. Das war schon früh in Mitchells Songs spürbar. In ihren impressionistischen Gitarren-Akkorden, mit denen sie sich durch ungewöhnliche Tunings und offene Tonalität von anderen Acts der späten 60er- und frühen 70er-Jahre-Folk-Szene absetzte. Und ihren in freien Bewegungen über die akustische Leinwand streichenden Gesangslinien. Kein Folk-Album klingt wie ihre frühen Meisterwerke „Ladies Of The Canyon“ oder „Blue“. Nicht nur malerisch, sondern gemalt.

1973, nach dem Release ihrer fünften LP „For The Roses“, begann Mitchell, die Limitierung ihres Genres zu spüren. Ihr kunstvoller Ansatz verlangte nach mehr als nur Folk-Rock. Und nach Mitmusiker*innen, die ihre seltsamen Kompositionen nicht nur erdeten, sondern zum Schweben bringen konnten. Mitchell konnte die Freiheit, die sie sich ersehnte, im Jazz erahnen. Sowohl in ätherischen Platten wie Miles Davis’ „Kind Of Blue“ als auch in dem groovenden Sound von Stevie Wonder. Neue Inspiration fand sie in der Fusion-Band L.A. Express, die sie nach einem Konzert prompt für ihre nächste LP anwarb. Zum ersten Mal seit ihrem Debütalbum „Song To A Seagull“ (1968) ließ sie ein Jahr ohne Albumveröffentlichung verstreichen – und fokussierte sich auf diesen neuen, jazzigen Sound. Das Ergebnis ist „Court And Spark“, ihr bis dahin abenteuerlichstes und vielschichtigstes Album, das 2024 50 Jahre alt geworden ist.

Nicht nur malerisch, sondern gemalt

„Love came to my door with a sleeping roll and a madman’s soul.“ „Court And Spark“ beginnt mit diesem Instant-Classic von einer Eröffnungszeile. Musikalisch ist der dazugehörige Titeltrack ein sanftes Präludium. Mitchell sitzt am Klavier, umgeben von zarten Klangtupfern aus Pedal-Steel-Gitarre und Fender-Rhodes-Piano, die die akustische Komplexität erst einmal nur andeuten. Die kommt in voller Kraft im anschließenden „Help Me“. Mitchells treibt ihre neue Backing-Band mit energetischem Gitarren-Strumming an. Die Rhythmusgruppe aus Max Bennett und John Guerin groovt, L.A.-Express-Leader Tom Scott konstruiert Ornamente aus Flöte und Saxofon, die gegenläufig um Mitchells kreisen. Dass dieses vertrackte Stück Musik ihre bis dato größte Hit-Single darstellt, demonstriert Mitchells Pop-Genie.

Was folgt, ist genauso vertrackt – und gleichzeitig eine Sammlung der eingängigsten Stücke, die Mitchell jemals schrieb. Wie „Car On A Hill“, das komplexeste Stück von „Court And Spark“ – ein virtuoser Drahtseilakt zwischen eingängigem Yacht Rock, groovy Jazz-Fusion und einem Mittelteil, der mit verzerrter Stimme und Fuzz-Gitarre fast schon in Richtung Psychedelic-Rock abdriftet. Erdiger und trotzdem nicht weniger befreit kommt „Raised On A Robbery“ daher, ein hemmungslos vorpreschender Rock-‘n‘-Roll-Song, mit bluesy Lead-Gitarre von Robbie Robertson (The Band). Das Highlight heißt „Free Man In Paris“, ein weiterer Hit, in dem Scotts Flöten wie das Pfeifen einer einfahrenden Lokomotive klingen. Ihre alten Wegbegleiter David Crosby und Graham Nash steuern im Refrain Harmonien bei, die gemeinsam mit Mitchells Leadgesang den Song in höchste Höhen schweben lassen.

In sanfter Schwebe

Und auch die Balladen schweben anders als zuvor. Wie in „Down To You“, in dem Harfen, Hörner und Streicher Mitchells Piano umrahmen. Oder „The Same Situation“, das als weitere Piano-Ballade beginnt und von der Band in einen sanften Jazz-Walzer verwandelt wird. Diese detailverliebten Arrangements ergänzen sich perfekt mit Mitchells Texten. Im Vergleich zu den sehr persönlichen Texten von vorigen LPs wie „Blue“ zeigt sie sich auf „Court And Spark“ als feinsinnige Beobachterin ihrer Umwelt. Die Songs sind Charakterstudien von scheiternden Aussteigern („Free Man In Paris“), von den „passport smiles“ der Showbiz-Gestalten („People’s Parties“) und wartenden Liebenden („Down To You“).

Diese Porträts sind liebevoll – doch nicht ohne Spitzen: „Like the church, like a cop, like a mother / You want me to be truthful / Sometimes you turn it on me like a weapon though“, formuliert sie in „Same Situation“ messerscharf. Auch die Eitelkeit ihres männlichen Gegenübers stellt sie in wenigen Songzeilen bloß: „Dreaming of the pleasure I’m going to have / Watching your hairline recede, my vain darling.“

Für Mitchells Jazz-Rock-Folk-Phase war das alles nur der Anfang. Nach der weiteren L.A.-Express-Zusammenarbeit „The Hissing Of The Summer Lawn“ (1975) fand sie auf späteren Glanzstücken wie „Hejira“ (1976) und dem unterschätzten „Mingus“ (1979) mit Bass-Virtuose Jaco Pastorius einen ebenbürtigen Mitspieler. Einige der abenteuerlichsten Platten der 70er-Jahre – die ohne „Court And Spark“ nicht möglich gewesen wären.

Veröffentlichung: 17. Januar 1974
Label: Asylum Records

 

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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