Little Dragon – „Slugs Of Love“ (Ninja Tune)
Die Liebe der Tigernacktschnecken ist eine ebenso faszinierende wie schleimige Angelegenheit. Grundsätzlich handelt es sich bei der in der Wissenschaft als Limax maximus bekannten, mittlerweile in ganz Europa verbreiteten Nacktschneckenart um sehr gemütliche Wesen, die den Großteil des Tages in Steinhaufen oder sonstigen kühlen Verstecken herumlümmeln. Doch nachts kriechen sie raus in die Welt, auf der Suche nach Pilzen und Pflanzen. Wenn dann zwei geschlechtsreife Exemplare aufeinandertreffen und den Balz-Prozess beginnen, dauert das erst einmal sehr lange. Die 20 Zentimeter langen Tigernacktschnecken sind Hermaphroditen, besitzen also jeweils beide Reproduktionsorgane. Nachdem die eine die Schleimspur der anderen aufgenommen hat, beginnt eine Choreografie: Beide bilden einen geschlossenen Kreis und „tanzen“ stundenlang umeinander.
Dieser schmierig-sinnliche Reigen beeindruckte Little Dragon so sehr, dass sie ihre neue LP direkt „Slugs Of Love“ genannt haben. „Vielleicht sehnen wir uns alle nach Liebe und Ekstase“, sinniert die schwedische Band, „während wir beim Ausüben dieses Verlangens immer schleimiger und schneckenartiger werden“. Im Titeltrack seines siebten Albums verehrt das Quartett aus Göteborg den Tigerschnegel als die queere Ikone, die er ohnehin schon ist. Es handelt sich hier schließlich um eine „taste making little slug“. „Slug of lust, a gliding dreamer“ / Yearning twisted, true deceiver“, singt Yukimi Nagano. Und das über einen New-Wave-Bass, der die ebenso LGBTQI+-ikonischen The B-52s zitiert.
Schleimige, queere Ikonen und ungriffige Ekstase
Fernab von diesen faszinierenden Naturbildern gibt es im Hause Little Dragon auf „Slugs Of Love“ keine Revolutionen. Das Quartett spielt seit seinem selbstbetitelten 2007er Debütalbum eine bunte Mischung aus Indie- und Synth-Pop, Electronica, Trip-Hop und R&B. Alles ist erlaubt. Hauptsache es groovt. Und genauso machen sie auch auf dieser LP weiter. Das Album beginnt mit dem mit Gepfeife und Breakbeats aufgelockerten Engtanz-Soul von „Amöban“ und macht schnell Platz für funky R&B („Frisco“), Nu-Disco („Disco Dangerous“) und Synth-Pop-Hymnen („Lily’s Call“).
Eine kleine Pause gewährt „Glow“, dank des Gastbeitrags von Damon Albarn, der selbst durch einen dicken Autotune-Filter seine charakteristische Melancholie fließen lassen kann. Der andere Gast des Albums, Rapper JID, arbeitet in die entgegengesetzte Richtung: Sein Feature in „Stay“ verwandelt ein sehnsüchtiges R&B-Stück in einen bizarren Trap-Synth-Pop-Hybriden. Alle diese Songs sind auf ihre eigene Art und Weise ekstatisch, doch nie so, wie man es erwarten würde. Kein Wunder, dass Little Dragon so sehr vom Tigerschnegel fasziniert sind. Denn was diese Band schon immer mit Nacktschnecken einte, ist ihre Ungreifbarkeit.
Veröffentlichung: 7. Juli 2023
Label: Ninja Tune