Tkay Maidza – „Sweet Justice“ (4AD)
Morgens nach dem Aufwachen hat der Mensch generell ein bisschen Entscheidungsspielraum. Einfach liegen bleiben ist eine Option. Sich quälend aus den Decken herausschälen und zu den hoffentlich irgendwie wachmachenden Genussmitteln der Wahl schlurfen und zur Lohnarbeit schreiten leider auch. Takudzwa Victoria Rosa Maidza ist aber aus einem anderen Holz geschnitzt. Das Aufstehszenario, das die australisch-simbabwische Rapperin und Sängerin zu Beginn der Single „WUACV“ zeichnet, bietet eine weitere Option. Das Verrät die Hookline explizit – und auch schon der Name des Songs, ein Akronym für „Woke up and chose violence“. Und wenn sie Lust auf Stress hat, dann legt sie los: „Eat your heart out on a silver plate / They’ve been fishy, so I’m eating steak“. „You shouldn’t upset me“, droht sie später. Nur um dann die Cognacmarke „Courvoisier“ mit „bury bodies in the backyard“ zu reimen. Willkommen in der wunderbar wütenden Welt von Tkay Maidza.
Dabei ist die Tkay Maidza, die wir in „WUACV“ hören, nur eine von vielen Facetten dieser Künstlerin. Für ihr neues Album „Sweet Justice“ ist es aber eine essenzielle. Sechs lange Jahre musste die Welt auf den Nachfolger zum 2017 erschienenen Debüt „Tkay“ warten. In der Zwischenzeit veröffentlichte sie die EP-Trilogie „Last Night Was Weird“, deren zweiter Teil 2020 ihr erstes Release auf dem sonst für Gitarrenmusik bekannten Label 4AD war. Der Titel ihres nun erscheinenden neuen Werks mag ein furioses Rache-Album vermuten lassen. Eine Abrechnung mit all denen, die Maidza Unrecht getan haben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. „Sweet Justice“ ist gleichzeitig ein Album über Hass und über das, was danach kommen kann: Akzeptanz, Selbstliebe und pure Lebensfreude.
Wut und Selbstliebe
Doch damit die richtig kickt, braucht es den Kontrast zur Wut. Und von der gibt es auf „Sweet Justice“ viel, besonders in den Singles. Sowohl „WUACV“ als auch die stressige, von Flume produzierte, an den Schaum-vorm-Mund-Rap von Rico Nasty erinnernde Single „Silent Assassin“ treiben den Cortisol-Spiegel in die Höhe. Die 808s und Sägezahn-Basslines stellen dabei die Lautsprecher auf die Zerreißprobe. Auch wenn sie in der Single „Ring-A-Ling“ ihr Arbeitsethos feiert („I’m the gas and fire and the smoke / It’s impossible the moves I’ve been climbing on low“), tut sie es mit scharfen Worten über bedrohlich klackernde Dancehall-Beats. „I don’t need free throws / I’m killin’ your ego“, attestiert sie später noch im Track „Free Throws“.
Das Vorabmarketing mit diesen harten Singles wirkt fast wie eine bewusste Irreführung – denn der Rest von „Sweet Justice“ fühlt sich ganz anders an. Schließlich beginnt das Album mit den Engelschören, Flöten und R&B-Beats von „Love And Other Drugs“. Mit warmer Musik und reflektierten Zeilen: „Love is a drug and it’s lethal / Can’t bring the world outta people.“ Hier ist Maidzas Flow nicht weniger virtuos, aber doch sanfter, verspielter.
Und sowieso singt sie auf diesem Album genau so viel wie sie rappt. In „Out Of Luck“ garniert sie puren Pop, mit Unterstützung von Amber Mark und Lolo Zouaï. Das von Kaytranada produzierte „Ghost!“ ist unverschämt funky – auch eine Abrechnung mit einem ehemaligen Geliebten, aber ohne Wut. Sondern mit dem schlichten Wissen, dass die eigene Zeit wertvoller ist als die gemeinsame. „Gave you piece of mind, a treasure priceless / Battling your pride you chose your vices / You should know me better, new horizons“, rappt sie. „No compromises, keep the silence.“ Auch wenn Tkay Maidza sich nicht direkt für violence entscheidet, kann sie Dich trotzdem mühelos zerstören. Und dabei einen Riesenspaß haben.
Veröffentlichung: 3. November 2023
Label: 4AD