Young Fathers – „Heavy Heavy“ (Ninja Tune)
Das Wort „Soul“ hat im popmusikalischen Kontext ganz schön viel Gewicht. Schließlich geht es dort selten um die Seele, sondern meist um eine riesige Genre-Schublade. Um Marvin Gaye, Aretha Franklin, Stax, Motown, etc. Und nicht um den spirituellen Kern des Menschen. Genau aus diesem Grund lehnen Young Fathers dieses Wort als Bezeichnung für ihre Musik ab. Kein Wunder, schließlich trotzt das Trio aus Edinburgh schon seit seinem 2014er Debüt „Dead“ allem Schubladendenken. Viele Wörter wurden schon für ihren ungriffigen Klang verschwendet, von Art-Pop über Avant-HipHop, Garage-Rap und Industrial-Gospel bis zu – aha – Neo-Soul. Keiner dieser Begriffe kommt dem Ergebnis wirklich nah. Und dennoch ist „Soul“ ein wichtiges Wort, um ihr viertes Werk „Heavy Heavy“ zu verstehen.
Fünf Jahre nach ihrer LP „Cocoa Sugar“ wollten Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und Graham Hastings back to basics. Das neue Album entstand zu dritt in ihrem eigenen Studio, ohne Mithilfe von außen. Das Ergebnis klingt noch übersprudelnder als der Vorgänger: verzerrte Chöre, auseinandergeschnittene Dialog-Samples, psychedelische Wall Of Sounds und Drumloops, die Lautsprechermembranen auf die Zerreißprobe stellen. Die Sounds sind so eklektisch wie noch nie.
Von der Seele der Musik
Und inmitten des vermeintlichen Chaos gibt es ein Konzept: Young Fathers sind auf der Suche nach dem Kern, nach dem ekstatischen Urfunken, der aller Musik innewohnt. „Es gibt einen roten Faden, der sich durch alle musikalischen Bewegungen der Welt zieht, die jetzt alle zum Pop geworden sind“, erklärte Hastings in einem Interview. „Egal ob in den Didgeridoos der australischen Aborigines oder den Drones des keltischen Folks. Es gibt da etwas, das alle Menschen brauchen, um sich zu beruhigen.“ Die Seele der Musik, könnte man meinen.
Dieser Soul zeigt sich in einem von Young Fathers so nicht gewohnten Optimismus, der sich durch „Heavy Heavy“ zieht. Die LP beginnt mit dem umarmenden Spiritual „Rice“, das selbst im durch und durch verzerrten Outro strahlend warm anmutet. „Drum“ wirkt so, als hätten Animal Collective zu „Strawberry-Jam“-Zeiten den Grime entdeckt. „Tell Somebody“ ist euphorischer Psychedelic-Pop, der in einem kilometertiefen Soundozean mündet. Auch die Handclaps und Breakbeats von „Sink Or Swim“ oder das Piano-Geklimper von „Ululation“ erzeugen akustische Reizüberflutung, die aber nicht überfordert, sondern fast schon meditativ wirkt.
Durch diese Klangwellen schießen Young Fathers auch noch schöne Melodien. Der Beweis: Ohrwürmer wie „Geronimo“ oder „Shoot Me Down“. „Heavy Heavy“ ist kein Eskapismus, die Schrecken unserer Welt auch in dieser Musik präsent. Young Fathers sind „covered in violence with love around my neck“, wie sie in „Holy Moly“ singen. Doch die Liebe ist auf diesem Album stärker als die Gewalt. Diese drei Musiker singen und schreien und jauchzen sich ihre Seele aus dem Leib – und kommen der Essenz der Musik so nahe wie wenige andere.
Veröffentlichung: 3. Februar 2023
Label: Ninja Tune
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