ByteFM Monatskarte August: Von Cosmic Sound zur Milky Disco


(Der Black Devil Disco Club, Foto: Fernando Mara, cc-sa-2.0)

Auf der ByteFM Monatskarte August: „Milky Disco Vol. 3“ (Lo Recordings)

Manchmal bekommen auch Musikstile einen Bart. Wer nämlich an Disco denkt, sollte neuerdings nicht mehr nur Schlaghosen-Johnnys und Glitzer-Elsen vor Augen haben sondern genauso introvertiert an Knöpfen drehende Männer mit Hang zur Gesichtsbehaarung. Statt schmieriger Tanzflächen-Stritzis beherrschen Elektronik-Nerds das hedonistisch konnotierte Genre, scheint es. Der Grund hierfür liegt in einer Renaissance von Disco (bzw. einer bestimmten Richtung davon), die weniger mit den „Saturday Night Live“ Balzritualen zu tun hat als mit Mid-Tempo Reisen in Sound-Galaxien voller Synthesizer-Arpeggios und Blubberbässe. Mit der Benennung der discoiden Musik, die nichts mit Billig-Boogie zu tun hat, ist das so eine Sache. Neo-Disco, Nu Disco, Space Disco, Trippy Disco – das alles ist nicht besonders trennscharf, kann auch in Silver Convention und Boney M Vorhöllen führen oder zu falsch etikettierten House-Langweilern. Ein Begriff, der aufgrund seiner Geschichte die Position abseits der Travolta-Klischees halten ist, ist Cosmic Disco.

Das „Cosmic“ war eine Diskothek im italienischen Urlaubsort Lazise am Gardasee. Eingerichtet nach Vorbildern wie dem legendären Studio 54 in New York agierte hier ab 1979 der DJ Daniele Baldelli, der als Begründer des Cosmic Disco Stils gilt, wobei ein anderer italienischer DJ, Beppe Loda ebenfalls beansprucht, das, was heute als Cosmic Disco bezeichnet wird erfunden zu haben, als er seinen „Afro“ Stil entwickelte. Tatsächlich ist manchmal auch von Cosmic / Afro Disco die Rede (gewesen), doch der Einfachheit halber reden wir hier weiter von Cosmic Disco. Die Unklarheit der genauen Urheberschaft des Ganzen liegt in der Natur der musikalischen Entstehung. Die italienischen DJs, die relativ langsame BPM Zahlen (90 – 110) bevorzugten, begannen, ihre Sets aus übereinandergelegten Sounds unterschiedlichster Herkunft zusammen zu mixen. Auf der Basis modaler, perkussiver Rhythmusspuren entstanden quasi Mash-Ups aus Quellen wie Minimal Music und Afro Chants, Ravels „Bolero“ und Synthiepop a la Depeche Mode (oft in der falschen Abspielgeschwindigkeit), Batucada und Jazzrock, frühem Dancehall und Krautrock wie Neu!. So entstand eine eigene Stilistik, die so gar nichts mit Italo Disco zu tun hat (dem „Sound verliebter Popperschweine“, wie ein Artikel in der aktuellen De:Bug es beschreibt), sondern eher in der Tradition hypnotischer Motorik-Beats steht.

In Amerika entwickelte sich in der Phase des langsamen Abebbens der Disco-Erfolgswelle zunächst ein modische Form der Space Disco und dann eine abgedrehtere Form von Synthie Disco. Georgio Moroder hatte 1977 mit Donna Summers „I Feel Love“ den Synthesizer in de Discos gebracht. Im selben Jahr erschien der Novelty Hit „Magic Fly“ der französischen Gruppe Space. Am Ende des Jahrzehnts hatte sich eine eigene Welt der tanzbaren Grooves mit Drang hinaus ins Weltall gebildet, in der die analogen Sounds von Moog, ARP und Co. auf lange psychedelische Reisen gingen und elektronische Drums dazu die passende Synapsen-Massage lieferten. Diese Ästhetik stellt für den britischen Musikjournalisten Peter Shapiro die erste „wirklich futuristische Bewegung der Pop Musik“ dar. Shapiro, der in der August Ausgabe der Avantgarde Musik Zeitschrift The Wire eine kleine Geschichte der Cosmic Disco aufgefrischt hat (sein Buch „Turn The Beat Around – The Secret History Of Disco“ von 2005 dient bei Interesse weiterer Vertiefung) zieht den Bogen von Baldelli und den „Star Wars“ infizierten Space Disco Tagen zur Gegenwart von Prins Thomas, Lindstrøm, Todd Terje und den Chicken Lips. Ein damals wie heute aktiver Produzent ist Bernard Fevre.

Als das Aphex Twin Label Rephlex 2004 das selbstbetitelte Debut-Album des Black Devil Disco Clubs herausbrachte, dachten viele an einen Fake. Die angeblich 1978 erstmal veröffentlichte ultra-rare Disco Platte klang zu gegenwärtig, um tatsächlich über 25 Jahre alt zu sein. Doch mit Bernard Fevre und seinem Partner Jacky Giordano traten bald zwei glaubwürdige Urheber hinter ihren Pseudonymen (Joachim Sherylee und Junior Claristidge) hervor, die seither weitere Releases auf Jon Tyes Label Lo Recordings herausbringen. Ihr tatsächlich 1978 entstandenes Album wie auch die aktuellen Releases zeigen den Black Devil Disco Club (im restlichen Leben machen die beiden übrigens Archivmusik) als zeitlos agierende Synthie-Frickler, die aus der ehemalige New Wave der Disco Musik den essentiellen Sound destilliert haben und quasi Urväter dessen sind, was heute auf den „Milky Disco“ Compilations wunderbar zu hören ist: Eine Form der Discomusik, die das körperlich Lebendige des Clubs mit dem astralen Flugfähigkeiten der Seele in Einklang bringen will.

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Diskussionen

0 Comments
  1. posted by
    Susi's Blog
    Aug 28, 2010 Reply

    „Wonderful Life“ von HURTS – Neuer Lieblings-Song !…

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