Die Goldenen Zitronen – „More Than A Feeling“ (Album der Woche)

Cover des Albums „More Than A Feeling“ von den Goldenen Zitronen

Die Goldenen Zitronen – „More Than A Feeling“ (Buback)

Es geht ein Feeling durch die Welt. Eine schwer zu definierende Unruhe. Eine Art Beklommenheit, die einem, manchmal schon bevor man den aktuellen News-Feed geöffnet hat, die Kehle zuschnürt. Dass diese aufgeladene Atmosphäre auch Thema in der aktuellen Pop-Musik ist, ist nicht neu – das haben KünstlerInnen wie Neneh Cherry, Farai oder Blood Orange auf ihren Alben „Broken Politics“ , „Rebirth“ und „Negro Swan“ im vergangenen Jahr bereits mit Bravour getan. Doch die Goldenen Zitronen schürfen auf ihrem neuen Album noch tiefer.

Denn Ted Gaier, Schorsch Kamerun und Co. nehmen dieses Feeling, betrachten es von allen Seiten – und speien dabei ihr Gift in alle Richtungen. „More Than A Feeling“, eben. In „Nützliche Katastrophen“, der ersten Single ihres 13. Studioalbums, sorgten die Hamburger bereits mit „epischen Terrorwarnungen“ und „pausenlosen Sensationsmeldungen“ für Unwohlsein. Eine Tendenz, die Deutschlands hinterlistigste Art-Punk-Band auf LP-Länge auf beste Art und Weise bis in die Unerträglichkeit steigert.

Gift in alle Richtungen

Die Beklommenheit beginnt schon in der ersten Zeile des ersten Songs. „Du sagst, gestern ist eine Frau in Deiner Nachbarschaft halbtot geschlagen worden“, ätzt Schorsch Kameruns vergifteter Sprechgesang über dystopische Synthesizer-Landschaften, nur um in Sekundenbruchteilen die Richtung zu wechseln: „Was aber gar nicht stimmt.“ Im nächsten Song werden direkt Parallelen zwischen der Gegenwart und der düsteren Vergangenheit gezogen: „Baut doch Eure Scheißmauer quer übers Land / Mit Schießbefehl wie früher, mit allem drum und dran.“

Doch nicht nur die vom Rassismus angetriebene Rechte wird von den Zitronen auseinandergenommen. „Es nervt“, im Original ein Stück von Ted Gaiers Band Schwabinggrad Ballett und hier gesungen von Latoya Manly-Spain, ist ein musikalischer Perspektivenwechsel, der die mit der Doppelmoral der wohlwollenden, weißen Linken abrechnet: „Wir das edle Objekt of your projections / ProtagonistInnen Eurer Schlachtengemälde.“

Der Rundumschlag gipfelt im sechsminütigen G20-Porträt „Die alte Kaufmannsstadt, Juli 2017“, in dem die Goldenen Zitronen auch ihre eigene Position hinterfragen. Die Band war schließlich selber Akteur bei den Protesten, am 6. Juli 2017 spielte sie ein Konzert im Rahmen der „Welcome-To-Hell“-Demo. Der Song malt das Bild einer nur scheinbar chaotischen Großveranstaltung: Die Mächtigen trafen sich zum Geschäftemachen und Zehntausende demonstrierten, vereint in dem Irrglauben, irgendetwas ändern zu könnten. Die über „bürgerkriegsartige Zustände“ berichtenden Artikel waren schon lange vorgeschrieben, bevor überhaupt erst ein Stein flog. Alles lief nach Plan. „Es kam wie es kommen musste / Alle kannten ihre Rolle“, heißt es immer und immer wieder.

Genauso beißend wie ihre allumfassende Gesellschaftskritik ist auch die Musik, die die Band hier versammelt hat. „Nützliche Katastrophen“ ist ein Bastard aus Can-Krautrock, Boogie-Bass und subversiven „Ohlalalalas“. „Gebt doch endlich zu Euch fällt sonst nichts mehr ein“ ist ein Schlaganfall im Post-Punk-Gewand. Beim Song „In der Schleife“ trifft dissonantes Piano-Geballer auf Synthesizer, die einem wie Mücken um den Kopf kreisen. Und im Zentrum von allem ein nervöser, aber unwiderstehlicher Groove, der die unerträgliche Welt, die die Goldenen Zitronen hier porträtieren, etwas erträglicher macht. Selten hat Beklommenheit so viel Spaß gemacht.

Veröffentlichung: 8. Februar 2019
Label: Buback

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Olaf
    Feb 4, 2019 Reply

    Ahoi,
    also ich habe bei Euch jetzt drei Stücke von dem dem neuen Album gehört und finde sie stinklangweilig. Den Goldies scheint jegliches Vermögen zur Subversion abhanden gekommen zu sein und auch die Musik scheppert nicht mehr. Sie wirken inzwischen so schulmeisterlich wie z.B. BAP und die Musik bewegt sich irgendwie im musikalischen Niemandsland. Meine These: Das Staatstheater macht die Goldies satt, was sie nicht daran hindert, feuilletonistisch-korrekte Staatskritik zu üben. Brauche ich nicht…

    Da höre ich doch lieber die alten Scheiben und Songs wie „Flimmern“ oder „ICE-Berthold-Brecht-Express“ und „0:30, gleiches Ambiente“

    Nicht jede Goldies-Scheibe ist automatisch ein Platte der Woche und diese schon gar nicht.

    Aber ByteFM? Supercool!

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