New Order – Konzert und Ausstellung in Berlin als Rückblick auf eine beeindruckende Band

(New Order)New Order

Als meine Freunde erfuhren, dass New Order nach Berlin kommen, gab es zwei Reaktionen. Die eine zeigte das Fragewörtchen „was“ in lang gezogener Manier mit großen, aufgerissenen Augen und offensichtlichem Neid auf meine Möglichkeit, dorthin zu gehen. Die andere das weniger erstaunte Fragewort „wer“, meist in Kombination mit einer hochgezogenen Augenbraue. Das nennt man dann wohl die Gnade und die Strafe der späten Geburt, denn tatsächlich ließen New Order in den letzten Jahren und auch Jahrzehnten weniger von sich hören und die Auflösung der Band 1993 fiel genau in den Zeitrahmen der musikalischen Ausbildung meiner Reakteure.

Zuvor waren die Bandmitglieder 13 Jahre lang die Helden des New Wave, Synth-Pop und Inspiratoren späterer elektronischer Dance-Musik gewesen. Doch eigentlich begann alles schon etwas früher: und zwar mit Joy Division, auch schon New Wave, heute ebenfalls legendär. Joy Division waren Frontsänger und Gitarrist Ian Curtis, Peter Hook am Bass, Schlagzeuger Stephen Morris, sowie Keyboarder und Gitarrist Bernard Sumner. Sie begannen 1976 auf der englischen Punk-Welle zusammen zu spielen, bis sich zwei Tage vor Start der ersten großen Amerika-Tour im Mai 1980 Sänger Ian Curtis erhängte. Erst nach seinem Tod erschien die heute bekannteste LP der Band. Die zuvor veröffentlichte und relativ resonanzlos gebliebene Single „Love Will Tear Us Apart“ wurde re-released und fuhr nun kommerziell ein, was sie vorher nicht konnte. Bis heute ist der Song einer der bekanntesten der englischen New-Wave-Szene und der gesamten 80er-Jahre.

Die Band hatte im Vorhinein beschlossen, nicht zusammen weiter zu spielen, falls eines der Bandmitglieder die Band verlassen sollte. Und so entstand die Neuformierung New Order um die Restmitglieder Morris, Hook und Sumner als Sänger. Es heißt, er habe auf der ersten Veröffentlichung „Movement“ noch Curtis‘ typischen Stil versucht beizubehalten. Doch schon auf dem zweiten New-Order-Album 1983 „Power, Corruption & Lies“, das von mehreren Magazinen zu einem der wichtigsten Alben der 80er gewählt wurde, fanden sie zu ihrer eigenen, mehr von Synthesizern bestimmten Art. Ergänzt wurden sie dabei von der Keyboarderin und Gitarristin Gillian Gilbert – der späteren Frau von Stephen Morris.

Um den Abriss der so langen und durchwachsenen Bandgeschichte komplett zu machen: Es folgten sechs weitere Studioalben, dutzende Singles – „Blue Monday“ wird zur meistverkauften 12″-Single aller Zeiten. Mitte der 90er wurde es dann Zeit für „The Best Of“ sowie „The Rest Of New Order“ – kein gutes Zeichen, die Luft war raus, die Bandmitglieder trennten sich vorläufig. 1998 kam das Comeback, doch bald darauf stieg Gilbert aus privaten Gründen aus, Phil Cunningham ein, wenige Jahre später folgte der Bruch mit Peter Hook, und nun, 2012, soll mit „Lost Sirens“ das erste Studioalbum seit sechs Jahren veröffentlicht werden.

Dies und die – ja, das Wort muss ein letztes Mal sein – legendären Banderfolge sind Anlass, in Berlin auf New Orders Vita zurückzublicken. Einen Tag vor dem einzigen Deutschland-„Club“-Konzert eröffnet „New Order – An Exhibition“ im .HBC. Dort zu sehen sind Plattencover von New Order, allesamt designt von Peter Saville. Er ist seit der Gründung von Joy Division für das Artwork beider Bands verantwortlich. Besonders auch dank des Londoner Labels Factory Records hat er einen guten Platz für seine minimalistischen, pop-artigen, oft grafischen Arbeiten gefunden. Die Fotografien von Kevin Cummins, der wie Peter Saville die Band seit langem begleitet, zeigen die Musiker in privaten und öffentlichen Szenen und sind zum großen Teil in eindrucksvoller Schwarz-Weiß-Ästhetik gehalten. Dazu werden Teile der Musikvideos der Band projiziert. Am Abend der Ausstellungseröffnung trafen sich außerdem die Bandmitglieder Sumner und Gilbert, Fotograf Cummins und Designer Saville mit geladenen Fans und Presse zur Diskussion über ihre Bandgeschichte.
Zu sehen ist die Ausstellung der Cover, Fotografien und Videos im .HBC am Alexanderplatz in Berlin vom 21. Juni bis 4. Juli, dienstags bis samstags von 18 bis 23 Uhr.

Kurz vor Veröffentlichung des neuen Albums also sind die Briten wieder unterwegs und erinnern an ihre Erfolge und vor allem ihren Status. Peter Hook wurde durch den jüngeren Bassisten Tom Chapman ersetzt, der nicht so ein „krass anderer Typ wie die braven New-Order-Mitglieder“ sei, wurde auf dem Konzert in Berlin gemunkelt. Das Tempodrom ist nicht das größte Venue der Stadt, aber es kann sich sehen lassen. Sehen lassen kann sich auch die Anzahl der Fans: Junge Hornbrillenträger mit rasierten Kopfpartien tanzen mit mittvierzigjährigen Lederjacken-Besuchern. Und alle reißen die Arme hoch, bei den gewohnten Synthesizer-Partien, beim treibenden Schlagzeug. Alte Hits werden wieder erkannt. So wurde es auch im Vorhinein versprochen, ein „Best-of“ war angekündigt, und „zum Leben erweckte“ Joy-Division-Klassiker.

Der Beginn des Konzerts war so pünktlich wie selten in der Popgeschichte, vier Minuten nach halb Neun geht die Band mit den Worten „Guess who we are“ und dem instrumentalen Ian-Curtis-Gedenksong „Elegia“ auf die Bühne. Es folgt „Crystal“ vom Comeback-Album „Get Ready“ Anfang 2001, der so unglaublich jung klingt. Auf der im Verlauf des Abends wirklich gut genutzten Videoprojektionsfläche läuft das Video dazu ab, in dem eine andere Band performt (eine nicht-existierende Band, nach welcher sich die amerikanische Rockband The Killers benannte). Die auf der Bühne stehenden Bandmitglieder wirken dagegen sichtlich gealtert. Gilian, die für diese Tour wieder dabei ist, hat irgendwie ihre schüchterne 80er-Verruchtheit verloren, an die uns Cummins Fotografien im .HBC so wunderbar erinnern. Sumner ist eigentlich kein geborener Sänger, beginnt etwas verloren, doch wirkt bei den älteren Stücken viel souveräner. Dem Publikum gefällt es, musikalisch ist alles einwandfrei. Doch auch gealtert und etwas müde lassen sie es den Songs nicht schaden, sicher spielen sie die Melodien der letzten 30 Jahre und die der Vorgängerband. Ein weiterer Kontrast kommt von der Technik, alles klingt so sauber, die aufwändige Lichtshow hätte dem Epileptiker Curtis sicher nicht gefallen. Bleibt nicht mehr so viel Avantgarde, nur Rückblick. Zu viele Songs werden mit „Ich glaube, ihr erinnert euch hieran“ eingeleitet. Und wir kennen sie – „Blue Monday“, „Bizzare Love Triangle“, „True Faith“, bei Joy-Division-Kompositionen wird extra laut gejubelt, als stünde die Originalbesetzung auf der Bühne. Die Zugabe endet nach einem knapp 90-minütigen Konzert mit „Love Will Tear Us Apart“ – nichts anderes wurde erwartet.

Klingt ein bisschen nach Zurückschauen, nach Rekapitulation, hat den Beigeschmack von finanzieller Not und Alt-Fans herauslocken. Jedoch war New Orders Auftritt im Berliner Tempodrom trotzdem energetisch und es wert, ihn zu spielen. New Order geben dieses Jahr noch einige Konzerte, neben zwei Festivals in Deutschland werden weitere europäische Hauptstädte und englische Großstädte beehrt. Vielleicht schenken sie uns mit dem neuen Album dazu eins von den Comebacks, die mit neuem Stil aufwarten können und sogar im Ankratzen des früheren Erfolgs gipfeln. Wenn nicht, können sie aber auch noch lange von der Erinnerung leben – an die frühere Größe, an das, was die Band für die heutige Popmusik und auch Clubmusik bedeutet.

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