Broken Social Scene – Hug Of Thunder (Rezension)

Cover des Albums Broken Social Scene – „Hug Of Thunder“ (Arts & Crafts)

8,5

Sieben Jahre nach „Forgiveness Rock Record“ formieren sich Broken Social Scene, das kanadische Kollektiv um MusikerInnen wie Kevin Drew, Leslie Feist, Jason Collett und Brendan Canning, erneut zu einer entspannten und homogenen Meisterleistung zusammen. Selten klang Disziplin so unangestrengt.

Das Faszinierendste an der Musik der 16 Musikerinnen und Musiker ist eine stetige Konstante: homogener Eklektizismus. Elektroknispel, Riffsalven, Jazzsprengsel, Sphärenklänge, orchestrale Erhabenheit, kalifornische Sonne – mitunter alles simultan. Immer gemeinsam, niemals gegeneinander. Alles im Sinne des perfekten Popsongs. Die wahrliche Kunst besteht aber darin, es bei sämtlicher Komplexität eingängig zu halten. Keine übervereinfachte Durchschaubarkeit, keine lebensferne Abstraktion. Musik für Herz und Kopf gleichzeitig – das sind Broken Social Scene auch anno 2017.

Eine kleine Zeitreise: Feist, Stars, Metric, Do Make Say Think – viele kanadische Indie-Bands haben ihren direkten Ursprung im Künstlerkollektiv Broken Social Scene. Andere wie etwa Arcade Fire, Timber Timbre oder Wolf Parade sind ihrem Ruf gefolgt. Auf dieser Basis wusste jedes Individuum der Band seine Zeit zu nutzen. Jeder für sich. Manche kennen vielleicht die einzelnen Teile mittlerweile besser als das Kollektiv, dem sie entstammen. Keine glückliche Situation für die Gemeinschaft, das Mutterschiff. Einzelne sind schwer beschäftigt, andere sitzen herum und warten. Wer sind wir eigentlich noch? Innere Zerrissenheit. 2005 ein selbst betiteltes Album. Hier hören wir den Versuch der Harmonisierung bei gleichzeitiger Unwucht. Ein Schnappschuss der Geschichte, bei dem Aufbau und Zerstörung Hand in Hand gehen. 2010 dann „Forgiveness Rock Record“, eine erneute Ansammlung immens talentierter Musiker und Fokussierung der bandeigenen Kompetenzen: Sie baut ein kompaktes Haus aus unzähligen Spuren, und am Ende lässt sie es zu, dass an einer Stelle das Fenster offen ist, sodass immer ein frischer Wind weht.

Zurück im Jetzt: „Hug Of Thunder“. GermanistikstudentInnen werden in dem Titel der Platte eventuell ein Oxymoron erkennen, eine Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe in einem Kompositum. Eine Umarmung und Donner schließen sich im Grunde aus. Broken Social Scene spielen allerdings mit dem rhetorischen Mittel. Während ein Oxymoron in der Literatur als dramatischer Steigerungseffekt eingesetzt wird, bringt die Band damit einen Kontrast zum Ausdruck. Dabei stellen sie Euphorie und Melancholie gegenüber. Es wird geschrien und geflüstert, gesägt und gestreichelt. Oft alles gleichzeitig, um ja jede Gefühlsregung auszukosten. „Towers And Masons“ ist zugleich wütend und warm, „Victim Lover“ ist tanzbar und melancholisch, „Gonna Get Better“ ist klassisch und futuristisch. Genau hier liegt der Reiz der Platte: in ihrer Unbestimmtheit, in ihrer Klischeelosigkeit, in ihrer suggerierten Gegensätzlichkeit. Vor allem aber ist „Hug Of Thunder“ eine irrsinnig clevere, vielschichtige und aufregende Platte, die in Ausdruck und Charisma einzigartig ist.

Veröffentlichung: 7. Juli 2017
Label: Arts & Crafts

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