Der Mann – „Top“ (Staatsakt)
8,0
Der moderne Mann hat es auch wirklich nicht leicht. Täglich muss er seine eigenen Privilegien hinterfragen. Seine potentiell toxische Existenz. Und in der S-Bahn zu viel Platz einnehmen darf er auch nicht! Auf Zehenspitzen muss er durch die Welt gehen, immer auf der Hut, bloß niemandem auf die Füße zu treten. Nie war es für ihn so schwer, seine durch puren Zufall in der Gen-Lotterie gewonnene Dominanz auszuüben. Er ist schon wirklich eine bemitleidenswerte Gestalt.
Gibt es denn niemanden, der dem modernen Mann wirklich helfen kann? Doch: Der Mann! Was wie der Titel eines schmierigen Pick-up-Artist-Seminars klingt, ist in Wahrheit eine Staatsakt-Supergroup um Label-Gründer und Die-Türen-Anführer Maurice Summen, seinen langjährigen Bassisten Ramin Bijan sowie den ebenso vielbeschäftigten Musikern Michael Mühlhaus (ehemals unter anderem bei Kante und Blumfeld aktiv) und Johannes von Weizsäcker (The Chap). Auf ihrem zweiten Album „Top“ ist die Band nach achtjähriger Pause zurückgekehrt, um den dichten Dschungel der Männlichkeit im Jahr 2022 zu erkunden.
Mansplaining klang noch nie so gut!
„Hier kommt schon wieder was vom Mann / Der seinen Rand nicht halten kann“, singt Summen in „SUV“. „Wir wollten auch mal was zu allem sagen / Doch wo fangen wir bloß an?“ – die Mansplaining-Attitüde sitzt also schon einmal gut. Die klischeehaft männlichste Eigenschaft von Der Mann ist dementsprechend, zu so ziemlich jedem Thema etwas zu sagen zu haben. In „Bewertungslied“ beleuchten Der Mann – wie schon der Albumtitel „Top“ und die das Cover schmückende Golduhr andeuten – die Vermarktungspsychologie des High-Performer-Kapitalismus. Und auch die Rolle des systemkritischen, aber von Fördergeldern abhängigen Musikers ist mit dabei: „Sing ein Lied gegen den Staat / Dafür kriegst du Geld vom Staat“, heißt es in „Rock’n’Roll Sozialstaat“.
Neben all der postmodernen, selbstreferenziellen, durch siebzehn Ironie-Ebenen gefilterten Metatextualität haben Summen und Konsorten aber zum Glück nicht vergessen, ein Art-Pop-Album aufzunehmen, das ziemlich viel Spaß macht. Auf „Top“ gibt es keinen musikalischen Stillstand, die Band ist in stetiger Bewegung: Der abstrakte, an This Heat erinnernde Post-Punk von „Intro (Formular & Guitar)“ geht über in den catchy Jangle-Pop von „Rock’n’Roll Sozialstaat“. Etwas klassischeren, ziemlich dringlichen Post-Punk gibt es zuhauf, in Songs wie „Peyote Repeat“ oder „Eisprinzessin“. „Immer der, der fragt“ und „Bewertungslied“ sind Exkursionen in Richtung Dub und Reggae. Entgegen seines Titels ist „Country, Western, Coaching & Consulting“ eine autotunelastige Dreampop-Angelegenheit. Bei solch einem diversen Sound macht es einfach Freude, sich die Welt von Der Mann erklären zu lassen. Allein das ist ja heutzutage schon etwas Besonderes.
Veröffentlichung: 6. Mai 2022
Label: Staatsakt