Ginger Root – „Shinbangumi“ (Rezension)

Von Henning Tudor-Kasbohm, 12. September 2024

Cover des Albums „Shibangumi“ von Ginger Root

Ginger Root – „Shinbangumi“ (Ghostly International)

7,9

Auf „Shinbangumi“, seinem äußerst vergnüglichen vierten Album, findet Cameron Lew alias Ginger Root die perfekte Formel für seinen Sound, den er einmal als „aggressiven Fahrstuhl-Soul“ beschrieben hat. Im Prinzip hantiert der US-amerikanische Künstler schon seit seinem 2017er Debütalbum „Spotlight People“ mit ähnlichen Zutaten. Da wären zum Beispiel Motown- und Philly-Soul, French Pop, 70s-Rock und japanischer City Pop. Sein Soloprojekt begann Lew, weil er vermehrt Songs auf Halde hatte, die nicht so recht zu seiner Bedroom-Pop-Band Van Stock passen wollten. Als er ein Album beisammen hatte, brauchte er zum Hochladen noch einen Namen. Da er sich gerade an einem Vulfpeck-Video erfreut hatte, auf dem Jack Stratton das Publikum mit dem Slogan „Uh, uh ginger root!“ animierte, wählte er diesen spontan und eher behelfsmäßig als Projektnamen. Ähnlich wie der Name war denn auch die Musik: spontan und frisch, aber eben auch konzeptlos.

Heute ist Ginger Roots Schaffen keine unterhaltsame Drauf-los-trial-and-error-Alchemie mehr. Mittlerweile sei seine Musik bei dem angekommen, „wonach sich Ginger Root anhören und anfühlen sollte“, befindet der kalifornische Musiker. Dafür, dass dies keine Promophrasendutzendware ist, gibt es handfeste Beweise. Im Anschluss an sein drittes Album „Rikki“ (2020) begann Lew, Ernst zu machen. So tauchte er mit der EP „City Slicker“ (2021) in die japanische Vergangenheit ein. Und das nicht mehr nur durch musikalische Verneigungen vor 1980er-City-Pop. Denn der ehemalige Filmstudent produzierte außerdem ein multimediales Gesamtpaket mit täuschend echten Pseudo-80er-Filmen als Kulisse. Ein halbes Jahr später folgte die EP „Nisemono“, für deren Videos er sich eine Storyline in einem fiktiven Japan im Jahr 1983 ausdachte.

Mut zu großen Gesten und Konzepten

Was die Instrumentierung und die handwerkliche Ebene angeht, fühlte sich Lew beim neuen Album „erstmals sehr sicher und wohl bezüglich der Zusammensetzung des Ganzen“. Nun erntet er die Früchte eines lange gewachsenen Selbstbewusstseins und einer gereiften künstlerischen Vision. Fort sind die Schlafzimmer-Pop-Zurückhaltung und jegliche chill-wavige Verwaschenheit. Mittlerweile erlaubt sich Cameron Lew den unbescheidenen Luxus, eine LP mit einem einundvierzigsekündigen, dramatischen Synth-Intro zu eröffnen. Danach die nächste Begrüßung mit „No Problems“, das als musikalisches Exposé fungiert. Mit dem Selbstverständnis von 70er-Jahre-Fernsehmusik verquirlt er Soul, den frühen Solo-Paul-McCartney, City Pop und 1990er-Videospielmusik. Mit Streichern und allem, was zu so einem zünftigen Hallo dazugehört.

Zum großen Kino gehört auch die Geste der Erneuerung. So verkündet Lew, er habe gerade „vier Jahre des Schreibens, Tourens und Lebens als eine andere Person“ hinter sich gebracht und nutze „Shinbangumi“ als Plattform seines neuen Ichs. Auch eine groß angelegte filmische Ergänzung hat Lew erdacht und realisiert: „Wenn man sich die acht Musikvideos hintereinander anschaut, bekommt man eine Geschichte präsentiert, die mit einem herkömmlichen Film vergleichbar ist; etwas, das ich schon immer machen wollte.“ Die Geschichte verfolgt Ginger Root im Jahr 1987, in dem er als Music Supervisor eines Fernsehsenders angeheuert und geschasst wird.

Ausladender Nerd-Pop

Die Songliste ist wohl durchdacht. Für den Anfang wollte Lew „genau die richtige Menge an Punch“ in Form von „No Problems“ und dem Lo-Fi-Boogie-Fusion-Track „Better Than Monday“. Anschließend lässt er uns „atmen“, womit er vermutlich „There Was A Time“ meint. Zumindest dessen Bossa-Intro taugt zum Verschnaufen, bevor der Song via Macca-Hommage ins Soul-Stomper-Territorium umzieht. In ihrer Collagenhaftigkeit und Atmosphäre ähnelt Lews Herangehensweise dabei weniger dem City Pop als 90er-Jahre-Shibuya-kei und Bands wie Pizzicato Five. Inzwischen sind wir schon im Mittelteil angekommen, in dem Lew „sogar noch beschleunigen“ möchte. Und er hält Wort mit der Lo-Fi-House-Pop-Hymne „All Night“ und dem etwas yacht-rockigen City-Pop-Funk-Kracher „Only You“. Soweit ein Longplayer voller Hits. Eher ein Album-Song, aber keine bloße Füllware ist das auf Japanisch gesungene „Kaze“, das fidelen Tokyoter Underground-Pop der 90s sanft ins Ginger-Root-Territorium überführt.

Danach macht Cameron Lew sein Versprechen wahr, uns „auf positive Art und Weise am zu Kragen packen und bis zum letzten Song nicht mehr loszulassen“. So ist „Giddy Up“ der nächste Hit, mit genau der richtigen Balance zwischen verstimmten Synths und unerwarteten Indie-Pop-Moves versus 70s-Funk-Pop. Nach „Show 10“, ungefähr der Rockband-Variante von Future Funk, kommt so etwas wie ein Abspann. So resümiert „Take Me Back (Owakare No Jikan)“ noch einmal die musikalische Palette des Albums und ist darin so sonnig, dass man, wäre es echte Abspannmusik, gerne in den Kinositzen bliebe, um sich die Credits anzusehen. Was man ohnehin tun sollte. „Shinbangumi“ ist der multimediale große Wurf eines introvertierten Künstlers, der aus coolem Nischenwissen etwas wiedererkennbar Eigenes destilliert, zugleich ausladend und nahbar, nerdig und catchy.

Veröffentlichung: 13. September 2024
Label: Ghostly International

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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