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School Of Rock Shibuya-kei

ByteFM: School Of Rock vom 14.03.2024

Ausgabe vom 14.03.2024: Shibuya-kei

1994 erschien auf dem Label Matador Records die EP „Five By Five“, mit der die japanische Band Pizzicato Five erstmals mit einer Veröffentlichung im US-amerikanischen und europäischen Markt landete. Zu diesem Zeitpunkt hatten Pizzicato Five (1984-2001) in ihrer Heimat bereits sieben Alben und etliche weitere Releases veröffentlicht.

Zusammen mit Keigo Oyamada, der 1994 nach dem Ende seines Projekts Flipper’s Guitar (1987-1991, mit Kenji Ozawa) sein erstes Soloalbum unter dem Künstlernamen Cornelius herausbrachte, sind Pizzicato Five Künstler*innen der sogenannten Shibuya-kei-Szene, die vor allem durch diese beiden Acts im Rest der Welt bekannt wurde.

Vorausgegangen waren Jahre der musikalischen Entwicklung, in denen sich eine kleine japanische Independent-Musik-Szene vom Nischen-Phänomen zum globalen Pop-Ereignis gemausert hatte. Mithilfe der damals bestsortierten Plattenläden der Welt, die den japanischen Sammler-Nerds entscheidende Vorteile bei dem Erwerb für Inspiration und Sampling geeignete obskurer Musikwerke verschafften, traten Cornelius, Pizzicato Five und Co. an, einen Pop zu machen, der zwischen der Kunst der Kopie und den Meta-Ebenen der Ironie und Selbst-Referenzialität vermittelt und so eine zeitlose, postmoderne Qualität bekommt.

In der westlichen Kritik, gewohnt an die Authentizitätsansprüche und Originalitätsbehauptungen der Rock-Geschichtsschreibung, stieß dieser Ansatz seinerzeit auf eine gewisse Skepsis und den leichtgängig daherkommenden Sounds aus Tokio wurde oft der etwas abwertend intendierte Stempel „Easy Listening“ verpasst.

Musikalisch hatten die japanischen Acts allerdings einen weitaus größeren Referenzrahmen zu bieten, der einen Bogen spannt von 1960er-Jahre-Sunshine-Pop und brasilianischer Bossa Nova über die britischen Indie-Gitarren-Bands der 1980er bis zu französischen 1960er Yéyé-Klängen und italienischen Soundtracks der 1960er- und 1970er-Jahre und natürlich auch zu den tatsächlichen Lounge-Musik-Produktionen der 50er und 60er mit ihren exotisierenden Konzepten und extrovertierten Sounds.

Diese dezidiert ausgesuchten Geschmacksknospen eines bis heute gültigen retro-futuristischen Stils der utopischen Wohlfühl-Fantasien von früher wurden in teilweise spektakulär gemachten Produktionen mit Beats und Klangdesign der 1990er-Gegenwart kombiniert.

In der School Of Rock zum Phänomen des Shibuya-kei erklingen daher neben vermeintlich authentischen Retro-Sounds auch allerlei Beats zwischen Downtempo, House, Big Beat und Drum & Bass während einer kleinen historischen Vergnügungsfahrt zu Musik von Künstler*innen wie Kahimi Karie, Towa Tei, Takako Minekawa, Hi-Posi, Fantastic Plastic Machine und natürlich Cornelius bzw. Flipper’s Guitar und Pizzicato Five.

Mit einer globalisierten Ästhetik und ahistorischen Perspektive ist Shibuya-kei ein Vorbote der Pop-Kultur der 2000er, die sich im Internet-Zeitalter von den linearen Entwicklungen der Popgeschichte des 20. Jahrhunderts und lokal ausgebrüteten Stilistiken verabschiedet hat.

Musik für Grafik-Designer*innen und Pop-Snobs sei das, beschied der österreichische Standard Pizzicato Five einmal. Tatsächlich kann Shibuya-kei als ein Phänomen gelten, das in Teilen die Ära der Hipster vorwegnimmt mit ihrer Aneignung beliebig „kuratierter“ Lifestyle-Elemente durch eine privilegierte Schicht kulturell hypermobiler Trendnerds und Pop-Fashionistas. Und auch das Zeitalter der Social-Media-basierten Ästhetiken findet in Shibuya-kei einen Vorlauf: Durch die parallel zur Musik mit mindestens derselben Intensität und Detailverliebtheit betriebene Gestaltung und Recherche von zugehörigen Aspekten bzgl. Design, Kunst und Mode beginnt hier das Zeitalter einer fangetriebenen Pop-Zeichenwelt, in der Musik nur ein Puzzleteil von mehreren ist, um durch Rekontexualisierung und Kombination eine neue, eigene Identität zu entwerfen und zu markieren.

(Foto: Syced, CC0, via Wikimedia Commons)

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Playlist

1.  Pizzicato 5 / Twiggy Twiggy / Twiggy vs. James Bond
Made In USA / Matador
2.  Flipper's Guitar / Samba Parade
Three Cheers For Our Side / Polystar
3.  Cornelius / The Sun Is My Enemy
The First Question Award / Polystar/Trattoria
4.  Kahimi Karie / Good Morning World
Kahimi Karie / Minty Fresh
5.  Oh! Penelope / Lait Au Miel
Milk & Cookies / Neowing Daikou/Epic
6.  Towa Tei / Technova (La Em Copacabana)
Future Listening / Güt/For life/Elektra
7.  Pizzicato Five / The World's Spinning At 45 r.p.m.
Happy End Of The World / Matador
8.  Fantastic Plastic Machine / Dear Mr. Salesman
The Fantastic Plastic Machine / Readymade/Bungalow
9.  Cornelius / Clash
Fantasma / Polystar/Trattoria/Matador
10.  Takako Minekawa / Cloud Cuckoo Land
Cloudy Cloud Calculator / Polystar/Emperor Norton
11.  Hi-Posi / Tabooの上限_
Gluon / Contemp