Liars – „The Apple Drop“ (Rezension)

Bild des Albumcovers von „The Apple Drop“ von Liars

Liars – „The Apple Drop“ (Mute Records)

8,1

Angus Andrews Musik mutet oft so an, als würde er Vieles hassen. Vor allem scheint die Laufbahn seiner Band Liars aber eine Abneigung gegen eines zu vermitteln: Stagnation. Liars erschienen 2001 mit ihrem manischen Dance-Punk-Debüt „They Threw Us All In A Trench And Build A Monument On Top“ auf der Bildfläche, damals in New York residierend, inmitten des großen NYC-Post-Punk-Revivals. Während Szene-Kolleg*innen wie Interpol oder Yeah Yeah Yeahs die folgenden Jahre in stilistischer Gleichförmigkeit verweilten, schoben Andrew und seine damaligen Mitstreiter das unfassbar sperrige Kraut-Manifest „They Were Wrong, So We Drowned“ hinterher. Es folgte das surreal liebliche „Drums Not Dead“, eine selbstbetitelte Hard-Rock-Mutation, der Art-Pop-Albtraum „Sisterworld“, die elektronischen Kopfverdreher „WIXIW“ und „Mess“ und die elektroakustischen Exkursionen „TFCF“ und „Titles With The Word Fountain“. Die Art von Neuerfindung, die für andere Bands eine Sensation ist, ist für Liars der Normalfall.

„The Apple Drop“, das nun erschienene zehnte Album, bringt eine neue Art von Schock mit sich. Denn es ist zum ersten Mal einfach nur ein neues Liars-Album. Anstatt irgendein neues Gimmick zu präsentieren, macht Andrew elf Songs lang einfach das, was er am besten kann: finstere Musik an der Grenze zwischen Avantgarde und Pop. Und das ist das Gegenteil von schlecht: So lebendig klangen Liars lange nicht mehr.

Aufregende Reise durch bekannte Gefilde

Diese gefühlte Lebendigkeit lässt sich erst einmal sehr einfach erklären: Nach vier Jahren als De-facto-Soloprojekt hat Andrew, das einzige verbleibende Gründungsmitglied, sich eine neue Band gesucht. Jazz-Schlagzeuger Laurence Pyke ist für die vertrackte Rhythmik verantwortlich, während das musikalische Schweizer Taschenmesser Cameron Deyell mit Gitarre und anderen Instrumenten die Texturen anreichert. Songs wie der polyrhythmische Strudel „Sekwar“ und das virtuos stolpernde „Leisure War“ profitieren ungemein von diesem neuen Zusammenspiel. Andrews bedrohlich zitternder Bariton schlängelt sich mit spürbarer Freude durch diese komplizierten Strukturen.

„The Apple Drop“ ist aber auch über die Musik hinaus ein kollaboratives Werk. Die Texte schrieb Andrew gemeinsam mit seiner Ehefrau Mary Pearson. Gemeinsam haben sie ein seltsames Gewirr aus Sci-Fi-Referenzen, Wurmlöchern und Psilocybin-Trips erschaffen, das der musikalischen Exzentrik ein angemessenes Beiwerk bietet.

Mit diesen neuen Begleiter*innen erkundet Andrew zwar kein jazziges Neuland, stattdessen zeigt er bekannte Gefilde in neuem Licht. Die mächtigen Riffs „Puls To Ponder“ hätte auch auf das selbstbetitelte Liars-Album passen können, während das Trommelwirbel-lastige „Big Appetite“ sich auch auf „Drums Not Dead“ einfügen könnte. Andrew und Band spielen diese bekannten Motive aber nicht mit rückwärtsgewandter Redundanz, sondern mit neuer Energie. Auch diese neue, altersweise Liars-Inkarnation kann Berge versetzen, wie zum Beispiel das sludgige Finale von „Acid Crop“ mühelos beweist. „The Apple Drop“ ist keine Stagnation. Sondern ein Kraftbeweis.

Veröffentlichung: 6. August 2021
Label: Mute Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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