Tocotronic – „Nie wieder Krieg“ (Album der Woche)

Bild des Albumcovers von „Nie wieder Krieg“ von Tocotronic, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Tocotronic – „Nie wieder Krieg“ (Universal)

Es gab mal eine Zeit, da verbargen Tocotronic ihre romantische Ader noch hinter poetischen Chiffren. Da sprachen die Indie-Rock-Urgesteine von Welten, deren Umrisse ihnen gefielen, von den Tieren nachts im Wald oder von den Imitationen von anderen, die sich in ihnen wiederfanden. Diese Zeit ist spätestens seit dem 2015 veröffentlichten „roten“ Album vorbei. Diese elfte Tocotronic-LP war gefüllt mit schamlos direkten Liebesliedern. Auch der 2018 erschienene, sehr autobiografische Nachfolger „Die Unendlichkeit“ zeichnete sich durch diese neue Offenheit aus. „Eines ist doch sicher / Eins zu eins ist jetzt vorbei“, sang Dirk von Lowtzow noch im Jahr 2002. Doch mittlerweile scheint ein Tocotronic-Song ziemlich genau das zu sein, was er verspricht.

Das führt zum Titel ihres 13. Albums, der einem Käthe-Kollwitz-Plakat entlehnt wurde und auch als Zeile den ersten Song dieser LP eröffnet: „Nie wieder Krieg“. Eine coole Idee eigentlich … Weltfrieden! „Keine Verletzung mehr / Das ist doch nicht so schwer“, heißt es weiter in dem Song. Später auf diesem Album wird von Lowtzow den antifaschistischen Subtext von Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ unmissverständlich in den Vordergrund holen, mit etwas platten Suffix „gegen Faschismus“. Und „Kräuter der Provence“ auf „Keine Chance“ reimen. Subtilität ist nicht unbedingt die größte Stärke dieses Albums.

Schonungslose Romantik

Doch die schonungslose Offenheit der neuen Tocotronic bringt etwas mit, was stärker ist, als die alte Wortgewandtheit: Verletzlichkeit. Schlaue und hochintellektuelle Texte funktionieren gerne als Schutzschild. Von denen ist hier nichts mehr übrig. Stattdessen präsentieren sie nackte Verwundbarkeit – die es braucht, um einen solch berührenden Song wie „Ich tauche auf“ schreiben zu können. Dieses Duett mit Soap&Skin darf gerne zu den absoluten Höhepunkten der Tocotronic-Diskografie gezählt werden, dank der filigranen Instrumentierung und den sich perfekt ergänzenden Stimmen von Anja Plaschg und von Lowtzow.

Apropos Instrumentierung: Von Lowtzow, seine Mitstreiter Rick McPhail, Arne Zank und Jan Müller sowie ihr langjähriger Produzent Moses Schneider haben so gar keine Angst vor Kitsch. Viele der Songs sind fast mit an Burt Bacharach erinnernder Orchestrierung versehen, wie das mit flirrenden Streichern ornamentierte „Hoffnung“, das mit Glockenspiel-Geklimper verzierte „Ein Monster kam am Morgen“ oder der bereits erwähnte Titeltrack, in dem zum Finale tatsächlich Kirchenglocken erklingen. „Nie wieder Krieg“ ist ein Album fernab von allem Zynismus und ironischem doppelten Boden. Das macht es so beeindruckend. Denn manchmal ergibt eins und eins einfach zwei.

Veröffentlichung: 28. Januar 2022
Label: Universal

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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