Erobique – „No. 2“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 19. Juni 2023

Cover des Albums „No. 2“ von Erobique, das unser Album der Woche ist

Erobique – „No. 2“ (Asexy Records)

Es klingt unwahrscheinlich, doch „No. 2“ ist tatsächlich erst das zweite Album des Hamburger Tasten-Wizards Erobique. Zumindest unter diesem Namen, denn natürlich hat Carsten Meyer im Vierteljahrhundert seit „Erosound“, seinem Debüt als Erobique, unfassbar viel veröffentlicht. 2005 beispielsweise als „Carsten Meyer präsentiert“ die soundtrackhafte LP „Keil Stouncil à Paris“. Oder den famosen, tatsächlichen Soundtrack zur Fernsehserie „Der Tatortreiniger“. Mit Cosmic DJ und DJ Koze von Fischmob bildete er Anfang des neuen Jahrtausends die Supergroup International Pony. Beide Alben dieser bizarren Boygroup barsten vor spontanem Witz und musikalischer Waghalsigkeit, blieben dabei aber immer tanzbar und fokussiert. Bloß eben ungewohnt und etwas verwirrend. Was ja aber eine Eigenschaft der Innovation ist, die seit der Jahrtausendwende in der Musik immer schwerer geworden ist.

Kurz vor der Jahrtausendwende, Ende 1998 zur Veröffentlichung von „Erosound“, war Carsten Meyer Mitte 20. Die LP begann mit dem zeitgemäßen Underground-House-Track „Tanzen“. Eine starke Eröffnung, aber seinen Charakter als verdammtes Wahnsinnsgenie offenbarte Meyer im zweiten Track, einem Cover der Scorpions-Powerballade „Still Lovin‘ You“. Was als Heimorgel-Latin-Version inklusive Begleitautomatik beginnt, mündet in ein psychedelisches Disco-House-Monster. Diese beiden Stücke sprechen bereits Bände über Erobiques musikalischen Charakter. Erobique ist Meyers Verdammtes-Wahnsinnsgenie-Identität. Mit dem Schlagermeister Carsten Meyer des Projekts Yvon, dem Neo-Rare-Groove-Bandleader der Instrumental-Band Hamburg Spinners und dem „Tatortreiniger“-Fernsehspielkomponisten teilt er natürlich einige Eigenschaften. Eine Liebe zu 60er- und 70er-Fernsehorchestern, zu abseitigen Hits und wilden Genre-Kombinationen.

Adrenalin im Studio

Seit seinem Debütalbum hat Meyer sein Erobique-Moniker nur noch für ausgewählte Singles benutzt. Oft waren die Stücke für den Dancefloor ausgelegt und lebten von Meyers spontanen Eingebungen. So sind seine Überhits „Urlaub in Italien“ (2018) und „Easy Mobeasy“ (2020) Mitschnitte improvisierter Live-Jams. In diesen Momentaufnahmen werden Fehler zum Mehrwert generierenden Glücksfall. Fehler, denen kann Meyer ohnehin so einiges abgewinnen, wie er bei uns im Interview verraten hat.
Das adrenalinbefeuerte Live-Feeling war es dann auch, was Meyer im zweiten Erobique-Album einfangen wollte. Doch im Studio ist das gar nicht so einfach. Weshalb er mit Musiker*innen arbeitete, die seine Kreativität beflügeln. Dabei verlässt er sich auf das Rhythmus-Fundament von Drummer Lucas Kochbeck (Bacao Rhythm & Steel Band) und Christoph M. Kaiser (Ex-Jeremy-Days). Bläsersätze kommen von Lieven Brunckhorst und Jan Delays Big-Band, und mit Siriusmo drehte Meyer in Berlin „einige Ideen durch den elektronischen Wolf“ (Pressetext). Aus Berlin kommt auch die Gesangsgruppe Laing. Deren Mitglied Nicola Rost steuert Vocals zum fast ausschließlich mit Synthesizer-Vokabeln getexteten Slow-Jam „Arpeggiator“ bei. Nach dem Lindenstraßen-Prog-Swing-Intro „Springinsfeld“ ein erster großer Erobique-Moment auf „No. 2“.

Weitere Vocals kommen von Sophia Kennedy im psychedelischen Slow-Burner „Synaesthesie“, Luis Baltes in der Disco-Boogie-Nummer „Salut Les Copines!“ und Carmen Scholle im House-Track „Riding Low“. Und natürlich von Meyer selbst, etwa in der Loser-Hymne „Verkackt“, dem trippigen „Ravedave“ und dem Hi-NRG-Disco-Album-Closer „Hitsong von uns beiden“. Hitsongs sind auf ihre eigene Art alle der Gesangsstücke. Aber auch die Instrumentals „Manta“ und „Ahoj!“ entpuppen sich als bestes Tanzflächenfutter. Genretechnisch ist „No. 2“ so inkonsistent, wie man es von Erobique erwartet. Doch genau an diesen Kollisionen innerhalb eines riesigen musikalischen Kosmos entzündet sich Meyers Verdammtes-Wahnsinnsgenie-Flamme.

Veröffentlichung: 16. Juni 2023
Label: Asexy Records

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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