Neue Platten: „Low Fidelity“

Cover der Compilation Low FidelityLow Fidelity (Staatsakt)

4,7

„Von den Machern des Kapitalismus empfohlen“ und dabei auch noch streetcredibel. Diesen Spagat beherrscht das Berliner Label Staatsakt seit jeher. Schon damals war die Gründung 2003 ein antizyklischer Coup inmitten der kriselnden Musikwirtschaft. Heute ist das Label eine zentrale Schnittstelle für angegrauten Diskurspop und politisierten Electrotrash. Auch mit der neuen Compilation „Low Fidelity“ mit unveröffentlichten Songs von Tocotronic, Heinz Strunk oder Die Sterne beweist das Label, dass eine schlauere Welt in einer dümmeren möglich ist. Und dass man Newsletter, diese nach Aufmerksamkeit lechzenden, buchstabengewordenen Marktschreier, wunderbar mit Gesellschaftskritik koppeln kann. So steht in einem Newsletter kurz nach der Europawahl: „Wenn wirklich jede(r) 10. DeutschländerIn bei den Europawahlen rechts gewählt hat, dann ist das natürlich ein sicheres Zeichen dafür, das Kollegah (Streetcred-Bitchinger#01) oder Alligatoah (Fun, Fun, Ringelpiezmitanfassen-Fun) von unten einfach nicht das bringen, was zu unseren Zeiten BAP, Slime oder die Goldenen Zitronen brachten.“ Autor dieser Zeilen ist Gereon Klug, der hauseigene Newsletter-Schreiber des befreundeten Hamburger Ladens „Hanseplatte“, der sonst auch für Deichkind („Leider Geil“) textet oder als Tourmanager von Rocko Schamoni und Studio Braun arbeitet. Der Sampler erscheint parallel zu Klugs gleichnamigem Buch („Low Fidelity. Hans E. Plattes Briefe gegen den Mainstream“), eine 240-seitige Zusammenstellung der Newsletter aus den letzten Jahren.

Botschaften zwischen Kulturkritik, Zynismus und verzweifeltem Kapitalismusbashing, dafür stehen seit jeher auch die Texte der meisten Bands auf Staatsakt, ob dadaistisch wie bei Bonaparte oder intellektuell verschmitzt wie bei Die Türen. Während die Newsletter ihre Kraft durch ihre unmittelbare Worthaftigkeit erhalten, hat man nach den 19 Songs den Eindruck, dass sich der dort versammelte Diskurspop irgendwann auch mal ausdiskurst hat. Denn im Gegensatz zum großartigen Eröffnungstrack „Was fühlst Du“ von Adolf Noise, der zwischen Dada und unverkrampfter Direktheit pendelt, ist die allgegenwärtige gebrochene Ironie schnell ermüdend. „Digger, was fühlst du, bist du nice angegeilt?“, singt Noise etwa mit Vocoder und liefert die Antwort gleich mit: „Du bist mein geiler Digger, bist du. Heute Abend wird gesoffen.“

In den anderen Songs klingt die vermutlich politisch gemeinte Ironie nicht wie Gesellschaftskritik, sondern nach einer verzweifelten Kapitulation vor der Gegenwart des „Realistischen Kapitalismus“ (Mark Fisher), in dem ernst gemeinte Utopien nicht mehr möglich sind. „Wir bewundern ihre stillen Bahnen und trinken dabei Gin und freuen uns, dass wir keine Fische sind“, singen Almut Klotz und Reverend Dabeler in „Rendevouz“ – eine Art Entschleunigungs-Hymne, die sehr nach den 90er-Jahren schmeckt. Auch der oft gewollte Trash-Faktor auf den Songs von Frau Kraushaar, Erokubin oder Kameruntruncs sind in ihrer Nostalgie lähmend. Wie wäre es denn mal mit einem richtig guten, treibenden Beat? Aber das ist ja Geschmackssache. Denn trotz allem ist Staatsakt immer noch ein wichtiges Korrektiv innerhalb der deutschen Popmusiklandschaft. „Von den Machern des Kapitalismus empfohlen“ und dabei auch noch streetcredibel. Zumindest für eine intellektuelle Mittelklasse in der Midlifecrisis.

Label: Staatsakt |

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Diskussionen

3 Comments
  1. posted by
    Stefan
    Sep 11, 2014 Reply

    Also wenn ich das richtig verstanden habe, schreibt Gereon Klug alias Hans E. Platte keine Pressemeldungen sondern Newsletter, die er für den Hamburger Laden/Mailorder Hanseplatte verfasst. Und die kompilierten Künstler sind auch nicht durchgehend bei Staatsakt unter Vertrag, weshalb das kein Labelsampler ist, sondern ein von Klug ausgewählter und zusammengetragener Support für das Buch; Staatsakt hat’s nur veröffentlicht. Oder?

  2. posted by
    eddie
    Sep 11, 2014 Reply

    Ja kann mich Stefan nur anschließen, die Fakten sind nicht sonderlich gut recherchiert oder verstanden worden… Was leider diese Kritik fragwürdig macht. Viele der Künstler sind bei anderen Labels. Es sind Newsletter, die der Verfasser des obigen Machwerkes nicht zu kennen scheint, denn sonst hätter er nicht Pressetexte geschrieben….
    Almut Klotz ist vor kurzen an Krebs verstorben, irgendwie hätte man sich diesen Seitenhieb sparen können. Vielleicht sollte der Schreiberling Techno rezensieren, hier scheint ihm ja alles zu dröge oder zu retro. Denn wer keine Äpfel mag sollte auch nicht über deren Geschmack urteilen, oder?

  3. posted by
    Philipp Rhensius
    Sep 11, 2014 Reply

    @Stefan: Es mag sein, dass nicht alle Künstler bei diesem Label unter Vertrag sind, aber das ändert doch nichts an der Kritik.

    @Stefan & eddie: Ich weiß, dass es sich um Newsletter handelt und schreibe das ja auch an einer Stelle („Label-Newsletter“). Allerdings hat sich aus Gründen der Wortdopplungsvermeidung ein Synonymfehler eingeschlichen. Pressemitteilungen sind natürlich keine Newsletter. Ich werde das ändern. Danke für Hinweis.

    Der Nebensatz zum Track von Almut Klotz (R.I.P.) ist kein Seitenhieb, sondern eine Kritik. Und wenn nur noch diejenigen, die Äpfel mögen, über diese auch Geschmacksurteile fällen können, dann wäre die popkulturelle Welt irgendwann nur noch ein aus vielen kleinen Sub-Blasen bestehender Einheitsbrei (obwohl, das ist sie ja schon längst).

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