Charles Bradley – „Black Velvet“ (Rezension)

Cover von Charles Bradley – „Black Velvet“ (Daptone Records)

Charles Bradley – „Black Velvet“ (Daptone Records)

8,0

Man hat es schon oft erlebt, das morbide Spiel: Eine Künstlerin oder ein Künstler stirbt – und kaum ist der Mensch im Grab, wühlt das Label noch einmal alle B-Seiten, Outtakes und Raritäten aus den Archiven, die sich halbwegs noch in irgendeine Form von Profit verwandeln lassen könnten. Prince-Fans kennen das. Tom-Petty-Fans kennen das. Und auch Aretha-Franklin-Fans werden davor nicht verschont bleiben.

Nun also der Fall Charles Bradley. Als der US-amerikanische Soul-Sänger am 23. September 2017 an Magenkrebs starb, ließ er eine einzigartige Biografie hinter sich: Im Alter von 14 Jahren nahm ihn seine Schwester zu einem legendären Konzert mit, das sein Leben verändern sollte: James Brown im Apollo Theater in Harlem, New York City, 1962. Nach einer Zeit als Anführer einer erfolglosen R&B-Band in den 60er-Jahren schlug Bradley sich als Koch durchs Leben, nebenbei sang er als Imitator die Songs seines Idols James Brown. 40 Jahre nach dem Initial-Gig riet ihm 2002 ein Freund, beim Soul-Label Daptone Records vorzusingen. Das Label war von seiner vom Leben gezeichneten Aura begeistert und veröffentlichte direkt die erste Single „Take It As It Comes“. Weitere neun Jahre später erschien sein Debütalbum „No Time For Dreaming“ – nur kurze Zeit nach seinem 61. Geburtstag.

In seiner viel zu kurzen professionellen Karriere veröffentlichte Bradley nur drei Alben. Nun veröffentlicht Daptone „Black Velvet“, zehn Songs, die in den Recording-Sessions dieser Platten entstanden sind, aber bis jetzt noch nie das Licht der Welt erblickten. Benannt ist die Sammlung nach dem Namen, unter dem Bradley damals seine James-Brown-Imitationen aufführte. Der Vergleich mit dem King Of Soul sollte ihn zu Lebzeiten nie verlassen. Bradley hatte trotzdem etwas, was Brown nicht hatte: Seine Shows waren keine überlebensgroßen Revues, sondern Feiern der Liebe. Während Brown mit seiner Stimme Aggression und Sex-Appeal ausstrahlte, predigte Bradley Empathie und Nächstenliebe. Es gab kein Konzert, bei dem Bradley nicht versuchte, möglichst viele Menschen aus seinem Publikum in die Arme zu nehmen.

Schwanengesang für einen schreienden Adler

Und bei all dem Zynismus, den man gegenüber posthumen Raritätensammlungen hegen kann, ist es schwer, dieses Album nicht zu lieben. Vom ersten herzzerreißendem „Ooooh“, das einem in der ersten Sekunde des Openers „Can‘t Fight The Feeling“ entgegenschallt, ist man dem Bann des „Screaming Eagle Of Soul“ verfallen. Songs wie die genauso mit Bedauern wie Liebe gefüllte Ballade „I Feel A Change“ oder der charmante Motown-Schunkler „Fly Little Girl“ verdienen es, gehört zu werden. Und auch die Cover-Versionen verzaubern, egal ob Bradley Nirvanas Grunge-Depression in „Stay Away“ in gnadenlos groovenden Funk oder Neil Youngs Lagerfeuergitarren-Klassiker „Heart Of Gold“ in eine R&B-Ballade wie aus goldenen Stax-Zeiten verwandelt, die so auch Otis Redding hätte singen können.

Vor allem ist es aber der Titeltrack, der einen am meisten schlucken lässt. „Black Velvet“ ist ein aus der Zeit gefallenes Stück Soul-Musik, mit melancholischen Bläser-Fanfaren und E-Gitarren, die wie Rauchschwaden durch den Raum wabern. Was darin fehlt, ist Bradleys Stimme. Das Instrumental wurde von seiner Menahan Street Band kurz vor seinem Tod eingespielt, die Gesangsaufnahmen konnte er nie beenden. Die Lücke gibt dem Album den Titel. Charles Bradley fehlt der Musikwelt – und nirgendwo kann man das mehr spüren als in diesen dreieinhalb Minuten.

Veröffentlichung: 9. November 2018
Label: Daptone Records

Ein Interview, das Ruben Jonas Schnell im März 2016 mit Charles Bradley in seiner Heimatstadt New York geführt hat, hört Ihr diesen Donnerstag, den 08. November, bei uns in der Sendung Zimmer 4 36. Mitglieder des Fördervereins „Freunde von ByteFM“ können die Sendung danach auch in unserem ByteFM Sendungsarchiv nachhören.

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