Jpegmafia & Danny Brown – „Scaring The Hoes“ (Rezension)

Cover des Albums „Scaring The Hoes“ von Jpegmafia und Danny Brown.

Jpegmafia & Danny Brown – „Scaring The Hoes“ (Peggy)

8,5

Eines der – Entschuldigung – hirnrissigsten Klischees der Science-Fiction-Geschichte ist der Zehn-Prozent-Mythos. Er basiert auf einem (ohne große wissenschaftliche Belege) oft reproduzierten Gerücht, dass der Mensch nur etwa ein Zehntel seines Gehirns ausnutzt. Doch – haltet Euch fest – was wäre, wenn eine Pille oder genetische Veranlagung die Möglichkeit bieten würde, das hundertprozentige Potential des Gehirns freizuschalten? In dem 2011er Film (und der gleichnamigen Serie) „Limitless“ ermöglicht ein Medikament genau das – und macht den Protagonisten für begrenzte Zeit zum schlauesten Menschen der Welt. In Luc Bessons „Lucy“ kann Heldin Scarlett Johansson dank ähnlicher Umstände plötzlich Gedanken lesen, telekinetisch Gegenstände bewegen und jeglichen Schmerz ausblenden. Auch die Serie „Heroes“ erklärt die übernatürlichen Fähigkeiten der titelgebenden Superheld*innen mit vollends ausgeschöpften Gehirnkapazitäten.

Die verlässlich stets jeden Spaß ruinierende Wissenschaft hat diesen Mythos natürlich schon lange widerlegt. Der Großteil eines gesunden Hirns ist stets in Betrieb. Wer nur zehn Prozent nutzt, hat ernsthafte Hirnschäden. Und laut Neurowissenschaftlerin Gabrielle-Ann Torre wäre der Zustand eines Menschen, der alle Synapsen gleichzeitig abfeuert, kein angenehmer. Das Ergebnis wäre nämlich ein Krampfanfall. Wer trotzdem ein Gefühl erhaschen möchte, dass diesem wunderbar bekloppten Sci-Fi-Klischee entspricht, kann aber auch einfach „Scaring The Hoes“ auflegen.

Übersprudelnde Hirne

Diese LP ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen zwei der übersprudelnsten Köpfe des zeitgenössischen US-HipHop: Jpegmafia und Danny Brown. Ersterer, bürgerlich als Barrington DeVaughn Hendricks bekannt, gilt neben den Punk-Rap-Terroristen Death Grips als Enfant terrible des Noise-Rap, das 2018 mit „Veteran“ einen der absoluten Klassiker des Genres in die Welt setzte. Jpegmafias selbstproduzierte Beats sind glitchy Collagen aus digitalen Störgeräuschen, hoch- und runtergepitchten Gesangsstimmen und Wrestling-Samples – und mindestens genauso eklektisch wie seine mit bizarren Referenzen gespickten Lines. „Peggy been a solo act since Looney Tunes and Goofy Troops“, attestiert er auf seinem Meisterstück „Baby I’m Bleeding“.

Dieser Zeile entsprechend war er bisher ein ziemlicher Alleingänger, seine Platten kamen fast immer ohne Features aus. „Scaring The Hoes“ (der Titel ist Referenz auf ein Meme) ist nun etwas Neues, eine Zusammenarbeit auf LP-Länge. Und sein Partner Daniel Dewan Sewell alias Danny Brown steht ihm in Sachen Weirdness in nichts nach. Allein der nasal-quietschige Flow des Detroiter Rappers macht Brown schon lange zu einer aus dem Rap-Mainstream herausstechenden Figur. Und auch seine Alben erfordern vollste Aufmerksamkeit: Platten wie „XXX“, „Old“ oder sein Stress-Rap-Opus-magnum „Atrocity Exhibition“ sind zu großen Teilen in Musik verwandelte Panikattacken.

Interessanterweise sind beide Künstler auf ihren letzten Solowerken etwas softer geworden. Browns 2019 erschienenes „Uknowhatimsayin¿“ war ein erstaunlich optimistischer Boombap-Throwback, während Jpegmafia seit dem im selben Jahr erschienenen „All My Heroes Are Cornballs“ immer mehr digitalen Soul und Pop in seinen Sound inkorporiert. Wer nun denkt, dass das gemeinsame Projekt eine Weiterentwicklung dieser Tendenzen wird, hat sich aber getäuscht. Auf „Scaring The Hoes“ entfachen sie das komplette Chaos!

Leichtfüßig durch den Kollaps

„First of all: Fuck Elon Musk“ – nachdem die Karten auf dem Tisch gelegt wurden, entpuppt sich der Albumopener (und erste Single) „Lean Beef Patty“ als ein Feuerwerk aus Hyperpop-Vocals und Drum-’n‘-Bass-Breaks. Die Stimmen der Rapper sind nicht nur hier, sondern auch auf dem Rest des Albums fast in den Hintergrund gemischt, als könnten sie jederzeit vom Malstrom verschluckt werden. Jpegmafia, der wie so oft einen Großteil der Beats selbst beisteuert, zieht im Verlauf der LP alle Register. Im Titeltrack kollidieren Stadion-Rock-Drums mit Free-Jazz-Saxofon. In „Fentanyl Tester“ wird ein Sample von Kelis‘ „Milkshake“ durch den digitalen Fleischwolf gejagt und von stolpernden Breakbeats durch den Klangraum gescheucht.
„Jack Harlow Combo Meal“ ist eine unheilige Kreuzung aus Autotune-Crooning und Jazz-Piano-Samples. In „Kingdom Hearts Key“ flowt der einzige Feature-Gast, der 18-jährige Rap-Newcomer Redveil, über glitchy Shibuya-kei-Vibes. „Burfict!“ klingt noch am ehesten wie eine Trap-Hymne – und auch diese wird zur Mitte von einer Lawine aus verzerrten Bläsern überrollt.

In diesem Chaos fällt es ein bisschen schwer, sich auf die Texte zu konzentrieren (was auch am etwas fragwürdig gemischten Sound liegt). Was hängen bleibt, reicht aber. Während die Musik das Nervensystem auf die Probe stellt, scheinen Brown und Jpegmafia die Zeit ihres Lebens zu haben. Sie machen sich über Mainstream-Rapper („Jack Harlow Combo Meal“) und Crypto-Bros („Burfict!“) lustig. Dass ihre Tracks kommerziell wenig erfolgreich sein werden, wissen sie selbst. „How the fuck we supposed to make monеy off this shit? / You wanna be an MC? What the fuck you think, it’s 1993?“, rappt Jpegmafia im Titeltrack. Gemeinsam sliden beide Rapper leichtfüßig durch diese Reizüberflutungsmusik, die jederzeit zu kollabieren droht. „Scaring The Hoes“ ist nichts für empfindliche Gehirne. Doch wer die Kapazitäten mobilisiert, kann hier eines der aufregendsten Rap-Alben des Jahres erleben.

Veröffentlichung: 24. März 2023
Label: Peggy

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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