Romy – „Mid Air“ (Rezension)

Von Mario Kißler, 12. September 2023

Cover des Albums „Mid Air“ von Romy

Romy – „Mid Air“ (Young)

7,3

The xx waren schon immer mehr als die Summe der einzelnen Teile. Betrachtet man die ziemlich unterschiedlichen Soloalben von Jamie xx und Oliver Sim, könnte die Musik von The xx vielleicht eher eine Art Quintessenz darstellen: wo sich elektronische Musik und Indie-Pop gute Nacht sagen. Wie verhält sich nun „Mid Air“, das Debütalbum vom dritten Bandmitglied Romy Madley Croft, dazu? Croft, die sich als Künstlerin einfach Romy nennt, behandelt wie auch Sim persönliche Themen wie Identität und Queerness, musikalisch steht sie dem Club-Sound von Jamie xx näher. Vor allem aber zeigt sich Romy auf „Mid Air“ mit ihrer ganz eigenen Persönlichkeit und Geschichte.

Die queere Clubszene als Ort der Heilung

Auch wenn Romy privat schon lange offen queer lebt und es in den vergangenen Jahren auch zunehmend publik gemacht hatte, ist „Mid Air“ noch mal als Aushängeschild zu verstehen. „Lover you know when they ask me I’ll tell them / Won’t be ashamed, no I can’t wait to tell them / Lover, I love her“, heißt es gleich im ersten Track „Loveher“, einem der Highlights des Albums. Obwohl ihr Queersein in der Musikindustrie oft zu Gegenreaktionen geführt habe, wiege die erhöhte Sichtbarkeit für die LGBTQ+-Community ihre eigenen Ängste auf, gab Romy in einem Interview mit der Vogue zu Protokoll. Auf „Mid Air“ feiert sie den Dancefloor und die queere Clubszene als heilsame Gemeinschaft. Romy fand hier nach dem frühen Tod ihrer Mutter so etwas wie eine zweite Familie, legte selbst oft als DJ auf. Die Musik aus dieser Zeit sei eine der Hauptinspirationsquellen für das Album gewesen.

Ein gutes Beispiel für die unterschiedlichen Facetten des Albums ist die von Jamie xx mitproduzierte Single „Enjoy Your Life“. Sie basiert auf einem Zitat aus einem Song von Beverly Glenn-Copeland: „My mother says to me enjoy your life.“ Diese Zeile habe in ihr viel ausgelöst, so Romy, die ihre Mutter bereits im Alter von elf Jahren verlor. Auch ihr Vater verstarb 2010, nur ein Jahr nach der Veröffentlichung des Debüts von The xx. Irgendwann im Verlauf des Trauerprozesses scheint Romy sich entschieden zu haben, das Leben zu genießen. Mit dem lebensbejahenden „Enjoy Your Life“ wolle sie aber niemanden sagen, wie er*sie sich zu fühlen habe, ergänzte Romy vorsorglich bei der Veröffentlichung des Tracks auf Instagram. Beim Intro kommt Chers „Believe“ in den Sinn, was selbstverständlich absolut positiv gemeint ist. Der Track entwickelt sich dann zu einer funky Mischung aus Dance und Trance, die auch aufs letzte Album von Daft Punk gepasst hätte.

Viele der Tracks hat Fred Again.. mitproduziert. Der Hansdampf in allen Gassen, dessen unerschöpfliches Spektrum an Produktionen und Kollaborationen von seinem Mentor Brian Eno über The Blessed Madonna bis Ed Sheeran reicht. Fred Again.. hat es irgendwie geschafft, seinen aufs erste Hören einen Tick zu eingängigen House salonfähig zu machen. Vielleicht, weil die Musik trotz der Eingängigkeit nicht in billigen Kitsch abdriftet, sondern mit seinen Gesangs-Features und Samples schnell Emotionen weckt – wenn man sich dem Sound nicht von vornherein verschließt. An dieser Grenze bewegt sich auch Romy mit „Mid Air“. Den hohen Pop-Faktor von „Mid Air“ erklärt auch, dass neben Jamie xx und Fred Again.. auch noch Stuart Price (Zoot Woman) mitgearbeitet hat, der u. a. schon mit Madonna und Dua Lipa Hits produziert hat. Für letztere hat Romy übrigens auch schon einmal einen Song mitgeschrieben.

Good vibes only – reif für die Insel

Trotz der teils nachdenklichen Texte scheint für die Musik das Hashtag-Mantra „Good vibes only“ zu gelten. Bei „Twice“ oder „Did I“ mag das manchen zu dick aufgetragen sein, zu cheesy. Andererseits lohnt sich bei beiden Tracks das Dranbleiben fürs Finale. Auch die Vorabsingle „The Sea“ ist mit ihren simpel gehaltenen Lyrics („Don’t play that game with my heart / And don’t say it’s love if it’s not“) und der satten Eurodance-Bassline etwas arg radiotauglich geraten. Aber klingt halt trotzdem einfach gut. Manchmal wundert man sich, wie schnell die Songs wieder vorbei sind. Da wird nicht viel Zeit verschwendet, bis der Höhepunkt des Tracks erreicht ist. Klar, auch Dance Music passt sich den Hörgewohnheiten des Streaming-Zeitalters an.

Auf Albumlänge ist Hook after Hook dann doch etwas too much, da funktionieren die Tracks einzeln in einem DJ-Set sicher besser. Aber hey, dafür sind sie ja auch gemacht. Diese Tracks sind definitiv reif für Ibiza. Zum Abschluss fährt das sehr schöne „She’s On My Mind“ mit seinem balearischen Piano-Loop einen Gang runter, wofür man nach diesem Power-Album durchaus dankbar ist. „I don’t care anymore / Think I’m in love with her“ ist vielleicht auch als „mir egal, was die anderen denken“ zu verstehen. Mag die Musik auch sehr in den 90ern und 2000ern verhaftet sein, ist die Message des Albums angesichts des Rückgangs von LGBTQ+-Rechten in vielen Teilen der Welt doch hochaktuell. Insbesondere, da auch die Musikwelt und Künstler*innen nicht vor reaktionären Ansichten gefeit sind, wie erst kürzlich wieder mit Róisín Murphys Facebook-Post und ihrem Umgang mit den Reaktionen darauf deutlich wurde. Das macht Romys „Coming-out-Album“, wie sie es selbst nennt, über die Musik hinaus so wichtig.

Veröffentlichung: 8. September 2023
Label: Young

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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