Steve Gunn – „The Unseen In Between“ (Rezension)

Cover von „The Unseen In Between“ von Steve Gunn (Matador)

Steve Gunn – „The Unseen In Between“ (Matador)

5,8

Ein Wort, mit dem der US-amerikanische Folk-Rock gerne beschrieben wird, ist „unprätentiös“. Ob Jeff Tweedy, Ryan Adams, The War On Drugs oder sogar Mumford & Sons – der oder die „Americana“-KünstlerIn wird gerne als bescheidener Mensch dargestellt. Etwas schluffig und zurückgezogen, aber stets sympathisch.

Aus dieser „Bescheidenheit“ kann großartige Musik entstehen: Vorzeige-Slacker Kurt Vile war mit „Bottle It In“ für eine der besten Platten des vergangenen Jahres verantwortlich. Himmlisch oszillierende Gitarren-Musik, tiefenentspannt, aber nie langweilig. Aus dieser Bescheidenheit kann aber auch, ähm, bescheidene Musik entstehen – wie Viles ehemaliger Bandkollege Steve Gunn auf seinem neuen Album „The Unseen In Between“ demonstriert.

Die Musik des Sängers und Gitarristen war nicht immer so belanglos, wie sie auf seinem neunten Soloalbum klingt. Der New-Yorker wurde Anfang der 90er-Jahre mit Hardcore-Punk und Noise-Rock sozialisiert, fand wenig später über American-Primitivism-Künstler wie John Fahey und Sandy Bull seinen Weg zur Gitarre. Seine ersten Soloplatten waren instrumentale Meditationen, in denen Country mit Noise und Avantgarde Hand in Hand gingen.

Eine Stimme, die nicht singt

Doch dann fing Gunn an zu singen. Wie bei vielen seiner Americana-KollegInnen ist seine Stimme keine, die einen mit ihrem Umfang den Atem raubt. Sie war von Anfang an das schwächste Element seiner Songs, zwar nicht schief oder gar störend, eher etwas eindimensional. Ein Wort bleibt aus Gunns Mund nur ein Wort, wird nicht Musik, sondern bleibt eine Aneinanderreihung von Buchstaben. Eine Stimme, die sich zwar in melodiösen Bahnen bewegt, aber nicht singt.

Bisher konnte Gunn sein Organ jedoch immer mit aufregenden (oder zumindest angenehmen) Instrumentals ausgleichen, wie zuletzt auf seinem 2016er Album „Eyes On The Lines“. Doch auf „The Unseen In Between“ klingt seine Musik zum ersten Mal so müde wie seine Stimme. Die aufgesetzt psychedelischen Space-Rock-Gitarren und Mundharmonikas im Opener „New Moon“ lassen Augen rollen. „Chance“ mischt liebliches Akustikklampfen-Gezupfe mit sphärischen Fuzz-Wellen – und lässt beides altbacken klingen.

Was nicht heißt, dass es auf diesem Album keine Schönheit gibt. Steve Gunns Musik funktioniert am besten mit Fokus, wie in „Stonehurst Cowboy“, das mit seinem spärlichen Arrangement viel Raum für den Text lässt. Gunn erzählt hier aus dem Leben seines verstorbenen Vaters, nur begleitet von einem Kontrabass und seinem tatsächlich sehr eindrucksvollen Akustikgitarrenspiel – das auch in „Lightning Field“ einen Eindruck hinterlässt. Auch „Vagabond“ kann sich zwischen weniger starken Songs sehen lassen: Ein weiträumiges Duett mit der Folk-Sängerin Meg Baird – das leider von klischeehaften Country-Slide-Gitarren ausgebremst wird.

Der Fokus ist tatsächlich das größte Problem dieses Albums. Über die Hälfte der Songs dauern über fünf Minuten – und bieten nicht viel, was die Länge rechtfertigt. Outros bluten aus, gute Ideen werden bis in die Belanglosigkeit gestreckt. Steve Gunn bringt hier die schlechten Aspekte des US-amerikanischen Folk-Rocks zum Vorschein: „The Unseen In Between“ ist zwar durchaus sympathisch und tiefenentspannt – aber leider zu oft einfach langweilig.

Veröffentlichung: 18. Januar 2019
Label: Matador

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Diskussionen

2 Comments
  1. posted by
    Alice
    Jan 20, 2019 Reply

    Schönheit liegt im Auge des Betrachters (oder muss ich mal meine Ohren ausspülen lassen?) Nein, ganz im Ernst. Ich finde, dass Steve Gunns Stimme noch nie so gut war wie auf „The Unseen In Between“, ebenso wie die Texte oder die Songstrukturen. Das mag unter anderem daran liegen, dass er sich eben weniger auf (wirklich) schwierige Gitarrenfrickeleien konzentriert und ein bisschen delegiert hat. Für die Soloaktionen mit den flinken Fingern und das Experimentieren hat er seine anderen Outlets, die durchaus noch bestehen und parallel weiterlaufen. Im Gegenzug kann ich mir zum Beispiel Kurt Viles „Bottle It In“ und seine Stimme nicht am Stück geben, auch live nicht – da sind mir zu schleppende Momente drin. Aber Musikgenuss, gerade im Alternativbereich (wobei ich nicht wirklich Folk oder Americana oder irgendein Genre für sowohl Kurt als auch Steve zutreffend finde), lebt auch vom Diskurs darüber und der inspiriert. Wenn wir alle über das Gleiche jubeln, werden sehr schnell Rotation und Charts draus, drum, lieber so:-)

  2. posted by
    Dagmar Nelson
    Jan 27, 2019 Reply

    Leider kann ich mich fuer Steve Gunn’s Stimme bzw. Gesangsstil nicht erwaermen. „Eine Stimme, die nicht singt“ – in der Tat. „Vagabond“ ist die Ausnahme fuer mich – klasse Song, erinnert mich an die Go-Betweens, auch etwas Jack Savoretti’s „Vagabond“ drin und eine winzige Prise Blue Oyster Cult. Gelungen.

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