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ByteFM TourKalender Zu Gast: Franz Dobler

ByteFM: ByteFM TourKalender vom 12.04.2008

Ausgabe vom 12.04.2008: Zu Gast: Franz Dobler

Guten Tag,
mein Name ist Franz Dobler.
Ich bin Schriftsteller und Montags-DJ und manchmal auch in anderen Nebenberufen tätig.
Ich wurde 1959 geboren und bin aufgewachsen in einer oberbayerischen Kleinstadt. So ein Ort, wo man sagt: Heimat ist da, wo man sich aufhängt. Außerdem habe ich seit 1986 Frau und Tochter.
Ich bin der darf ich sagen letzte gottverdammte Punkrocker aus meiner Generation in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene. Wer´s nicht glaubt, soll Rocko Schamoni oder Peta Devlin fragen. Allerdings bin ich nicht der einzige Punkrocker,
der ´76 keine Ahnung hatte und sich inzwischen gerne mit Countrymusik beschäftigt und schöne Anzüge trägt. Die kosten mich beim Arbeitslosenprojekt übrigens nie
mehr als 20 Mark.
Ich habe ACHT BÜCHER geschrieben, das erste kam 1988. Ich bereue keines
davon, aber jedes hat seine Schwächen, und ich weiß das besser als alle Kritiker, die mich jemals zwischen Süddeutsche Zeitung und Spex verrissen haben. Ich habe keines jemals wieder ganz gelesen und werde das auch nicht tun. Aber manchmal nehme ich dies oder das, um etwas zu entdecken, das ich den Leuten, die zu meinen
Lesungen kommen, vorlesen möchte. Ich mache gerne Lesungen, weil es mir Spaß
macht. Obwohl es kein Spaß ist. Obwohl ich nur Texte lese, die zuallererst mir selber Spaß machen. Obwohl es niemals ein Spaß war, sie zu schreiben. Spaß wäre einfach der falsche Ausdruck.
Ich weiß, der Ausdruck ist inzwischen furchtbar abgerockt, aber ich finde sie haben´s immer noch nicht geschafft, ihn abzumurksen. Ich mag den Ausdruck ENTERTAINMENT. Das ist es, was ich zu machen versuche. Der Ausdruck Lesung trifft es nicht ganz genau. Außerdem ist das Wort Lesung inzwischen verboten worden, weil es bekanntlich ähnlich öde ist wie ein Abend mit Sharon Stone. Ich will
dieses Entertainment mit Lenny Bruce erklären (ich weiß, dass ich leider nicht so gut wie er bin, aber auch, dass ich niemals an einer Überdosis Heroin verrecken werde):
jahrelang hat er am Ende seiner Show ein Gedicht mit dem Titel "Adolf Eichmann" vorgetragen. Und dieses Gedicht war eine verbale 45-er, die dir jemand ins Gesicht hält und sagt, wenn du´n gottverfluchter Nazi bist, dann sprich jetzt dein letztes
Gebet. Und am Ende sagt man "thank you for coming tonight." Und man will
eigentlich gar nicht genauer wissen, wer aus dem Publikum dann wie und wie lang und was genau über dieses letzte Gedicht nachdenkt. Oder die ganze Show lang eigentlich doch nur über einen anderen Menschen nachgedacht hat, verliebt.
Ich habe immer Respekt vor dem Publikum, aber ich will, dass es von der ersten Minute an spürt, dass ich selber allein auf der Bühne bin, und dass ich es genauso für mich selbst mache, und dass es auch ein Spiel mit ihm oder gegen es ist. Die Bühne ist der Ort, wo du die Gesichter meistens nicht oder nur vage erkennen kannst, aber dir bewusst bist, dass sie deines genau sehen können und dich
beobachten; deshalb ist es auch eine Art Ringkampf, und auch das gefällt mir.
Ich mache KEINE PROMOTION-TOUR für mein neues Buch oder die neue CD. Ich
mache pro Jahr 20 bis 50 Shows (die man von mir aus auch Lesung nennen kann) und ich hoffe, dass das bis zum Ende so weiter geht, und wenn dann und wann ein neues Buch dabei ist, ist es auch gut.
Ich war nicht der Erste, der damit angefangen hat, das Lesen mit Musik (von Tonträgern) zu verbinden, aber ich mache das länger als alle, die es im Moment auch machen. Ich mache es nicht, damit die Lesung etwas lockerer wird. Lockere Lesung interessiert mich nicht, und wenn ich den Eindruck habe, dass es mir echt langsam zu locker wird, dann spiele ich eine Freejazz Nummer. Ich mache die Musik
immer so laut, dass GESPRÄCHE KAUM MÖGLICH sind. Manchmal kommen nach
der Show Leute zu mir und sagen: du hast ja echt tolle Musik eingespielt. Auch dieses Risiko gefällt mir, jedenfalls irgendwie. Einmal, im Münchner Literaturhaus, hat mich eine Frau angesprochen, es lief Musik und die Lesung war noch lange nicht
zu Ende, sie sagte: du machst das echt toll, aber meine Mutter möchte lieber Salsa hören, deshalb muss ich jetzt leider gehen. Ich habe übrigens meine Meinung zu einem ähnlichen Thema geändert: mittlerweile bin ich (fast immer) froh, wenn während der Show ein Handy klingelt. Wirklich immer ein Brüller. Und ich habe wirklich immer schneller eine verbale 45-er parat als jemand Pssst! sagen kann. Zu
Frauen bin ich immer nett, aber die Handyheinze müssen dann schon etwas büßen.
Es war mein Freund und hochverehrter Kollege Wiglaf Droste, der mir gesagt hat, welches mein NEUES BUCH sein soll. Lass uns am 10. Februar 2001 in Berlin einen Johnny-Cash-Abend machen, sagte er zuvor. Wunderbar. Ich hatte gerade eine vier Seiten lange Geschichte zum Thema in der Jungen Welt und auf Telepolis veröffentlicht, und zu mir gesagt, Ende, du wirst jetzt ein paar Jahre keinen Satz
mehr über Johnny Cash schreiben. Bevor´s langweilig wird. (Ohnehin hatte ich seit meinem Country-Buch 1999 das kleine und charmante Problem, fast nur noch Jobs über Countrymusik zu bekommen, aber gut, jeder war mir ein Vergnügen). Aber Musik jederzeit. Seit Wochen war "I Won´t Back Down" die erste und letzte Nummer meiner Get Country & Rhythm-DJ-Abende. War dann auch eine tolle lange Nacht in
Berlin. Paar Tage später Anruf Droste. Schreib ein Buch zu seinem 70. Geburtstag, ich würd´s gerne lesen. Hm. Dann Anruf von Droste-Verlegerin Antje Kunstmann, die ich seit 15 Jahren kenne und schätze. Hm. Ich habe genau vier Wochen darüber nachgedacht. Ich hatte Angst vor dem Buch. Dass es in der Hitparade der 99 Cash-
Bücher nur auf Platz 34 kommen wird. Ich hatte die Angst, dass ich dann jahrelang keinen Cash-Song mehr hören kann. Dass mir allein schon beim Namen schlecht wird. Dass ich dann vollends in dieser verdammten Countryszene (die allerdings einen verdammt besseren Sound als die Literaturszene hat) festgenagelt bin. Und
natürlich haben alle für mich bei solchen Fragen wichtigen Leute dasselbe gesagt. Ich spürte, dass ich fast keine Chance gegen das Buch hatte; vielleicht wäre das die
letzte Chance gewesen: ich zu Frau Kunstmann, ich wünsche mir, dass der große Hias Schaschko, der mir 1994 eine Cassette mit "Wo Ist Zuhause Mama" gegeben hat, Gestaltung und Cover macht, und ihre Antwort: jaaa! Da war mir dann ziemlich klar, dass mich dieses Buch gefesselt hatte. - Danke Antje, danke Wiglaf.
Ich hab so getan, als würde ich einen neuen Roman schreiben. (Seltsames Gefühl übrigens, so zu tun als wäre dieses Buch (und die ergänzende CD) schon fertig; ich habe gehört, dass es Glück bringt, wenn man DIESE ART LÜGE bringt, aber nur wenn man nicht so tut, als wär´s gar keine). Wenn ich gewusst hätte, was ich sonst noch in dieses Buch reinpumpen könnte, dann hätte ich´s getan. Ich bin die Wand
hoch und drüber und Alles. "Ich liebe den Geruch von Napalm." June & Johnny
performing in Vietnam. Saigon. Nachts, die Bomben. "June said I´m scared, and I said, me too." Talking-In-Vietnam-Blues. Wird mich auch noch beim tausendsten Mal
Hören berühren und umpusten. Mehr geht nicht, niemals.
Und dann habe ich mit zwei jungen DJs namens Smatik und Bloodfire auch noch, es war ihre Idee, einen Hip Hop Meets Country-Abend gemacht. Galaxien entfernt von dem Planeten Deutscher Hip-Hop. "And so we went one day to the Orient. Saigon."
Talking-In-Vietnam-Blues remixed. Mit Beats. "Stay in peace" sind die letzten drei
Worte von Cash. "Stay in peace. Pi-Pi-Pi-Pi-Peace. Peace. S s s s s s s s s s s s. Pp-p peace."
Als wir uns um 22.30 im Club Pavian trafen, hatten wir in unserem Leben
noch kein Wort gewechselt oder Cassetten getauscht. Smatik sagte, ich kenne den Namen Cash, sonst nichts. Es war really bad. Ein Lastwagen voll Respekt!
Damit´s nicht zu ruhig wird, dachte ich, man könnte doch mal bei Trikont fragen, ob sie nicht pünklich zum 26. Februar 2002 EINE CD MIT TITEL Johnny Cash Revisited machen möchten. Coverversionen. Compiled by Captain Davidopoulos, Intim-DJ Captain Schneider alias Hias Schaschko und Dobler. Bessere Partner gibt´s ja eh
nicht, und allein wollte ich´s nicht schaffen müssen. Antwort Eva Mair: Logisch!
"Merci vielmals" (wie Funny van Dannen zu sagen pflegt).
Damals so etwa 1986 hatte ich eine Menge kühnste Träume, und zum Glück habe ich alle überlebt und mehr erreicht als in meinen kühnsten Träumen. Ich war für Bands wie Cow, Fink, The Blech, Sono&Coltello, Fred Is Dead, Borrowed Tunes, Andreas Neumeister, Thomas Meinecke, Thomas Palzer oder Michael Stein der
Anheizer (und manchmal war´s auch umgekehrt). Ich saß in Beverungen halb tot an einem heißen Tag um 12 Uhr mittags auf der Bühne, und direkt nach mir kam, first show in Germany, Ramsey Midwood, mit ´ner Waschbärfellmütze auf dem Kopf und an seiner Seite Randy Weeks und hinter ihnen ein Bassist, der wie der Chef der L.A.-
Deadheads aussah. Leute. Mehr gottverdammte Preise und Auszeichnungen hat kein Autor meiner Generation bekommen. Oder wie Johnny Cash zu sagen pflegt:
"Ich danke Gott jeden Morgen für das Leben."
Jetzt aber mal ganz unter uns ehrlich gesagt. Manchmal flüstert mir Sharon Stone was ins Ohr. Sharon sagt: du würdest doch dem Teufel einen Zungenkuss geben, wenn du auch mal nach Klagenfurt dürftest. Und dann ich: Baby, du spinnst. Und Sharon: der große Jörg Fauser war genauso´n alter Sack wie du, als er dort war, also
stell dich nicht so. Und ich: vergiss es, ich denke wirklich keine zehn Minuten pro Jahr an diesen ganzen Kram. Und dann aber sagt Sharon Stone etwas unglaublich Fieses in mein Ohr, und sie kichert, weil sie weiß, dass die Antwort nur Ja Ja Jah
heißen kann.
Sharon sagt: take the money and run.

VERSCHIEDENE ARBEITEN
Buchveröffentlichungen:
The Beast In Me: Johnny Cash. (Verlag Antje Kunstmann, München 2002).
Falschspieler (Erzn, Nautilus, Hamburg 1988).
Jesse James und andere Westerngedichte (bommas, Augsburg 1991/95).
Tollwut (Roman, Nautilus, Hamburg 1991/99).
Der gute Johnny der Dreckskerl (Theaterstück, bommas, Augsburg 1992).
Bierherz (Erzn, Nautilus, Hamburg 1994).
Sprung aus den Wolken (Erzn, Nautilus, Hamburg 1996).
Nachmittag eines Reporters (belleville, München 1998).
Auf des toten Mannes Kiste/Get Country&Rhythm (Nautilus, Hamburg 1999).
Mitherausgeber: Down In Louisiana (bommas, Augsburg 1995).
Hrsg.: Körperkanonen/Neue Deutsche Prosa (Jürgensen Verlag, München 1983).
Als Compiler/Hrsg. von Musik-Compilations:
Perlen Deutschsprachiger Popmusik I-III (Trikont, 1995-98).
In GUZ we trust/Anthologie 1984-95 (L´age d´or 1997).
Co-Hrsg.: A Boy Named Sue - Johnny Cash Revisited (Trikont, 2002).
Sonstiges:
Mitveranstalter des Literaturfestivals Sage & Schreibe (München 1983-89).
Vaterland. (Theaterstück, 1988).
Ziegelbrennen. (Magazin-Hrsg. mit Thomas Palzer, Nrn. 1-3, München 1989-91).
Mit dem Kopf durch die Wand. (Theaterstück, 1989).
Einbrecher. (59´, SWF 1991).
Three Men Three Shots. (Tournee mit Sono&Coltello, 1991).
Wer weiß mehr? (Hörspiel 28´, BR 1991).
Der Motorsägen-Mann. (Theaterstück, 1991).
Bayerischer Staats-Förderpreis für Literatur und Augsburger Kunstförderpreis (1993).
Unten im Süden. (59´, SWF 1994).
Torpedo Texas. (Band mit Harry Coltello, 1995).
Social Beat. (Dokumentation 58´, SWF 1996).
(Fans mit Blumen:) Im Kino. (Song mit Hubl Greiner auf CD Ich Möcht´ Musik Machen Können, Rough
Trade 1996).
Der härteste Schockfilm der Welt. In: Ed Gein A Quiet Man (belleville, München 1996).
Get Country & Rhythm! (DJ-Programm, Club Der Pavian, Augsburg seit 1996).
Einige Möglichkeiten der Akustischen Gestaltung von Texten. (Gastdozentur, HBK Saarbrücken und
Fachhochschule für Design Köln, 1997).
Das Märchen von König Hiram. (Booklettext zu Hank Williams Revisited, Trikont 1998).
Ich hör jetzt auf. In: In welchem Pott schläft Gott? (Nautilus, Hamburg 1998).
Nicht immer am Ball: Henning Harnisch. (Dokumentarhörspiel 28´, BR 1998).
Der Mann ohne Pass: Christos Davidopoulos. (Dokumentarhörspiel 28´, BR 1999).
Mitveranstalter: Get Country & Rhythm Night. (Mit Peta Devlin und Douglas Campbell, Club Knust
Hamburg, 1999-2000).
Opfer. In: MorgenLand (Fischer, Frankfurt 2000).
Der jüdische Unruhestifter aus Texas: Kinky Friedman. (58´, SWR 2001).
Jesus, Maria und Josef. (Kurzfilm-Drehbuch, 2001. Regie: Henning Harnisch).
Der mit der Gitarre. (Song auf CD Out Of The Blue Vol. 9, Glitterhouse 2001).
Stapel Text seit 1983, aktuell am liebsten und selten für andere als Süddeutsche Zeitung, junge Welt,
die tageszeitung, Superstar, Only-Innit-Forthe-Money und franzdobler.de schönen Tag noch. Juni
2001.

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Playlist

1.  22 Pistepirrko / Zombie
2.  Dusty Springfield / Silly Silly Fool
3.  Guz / Einsam
4.  Smokestack Lightnin‘ / Country Girl
Heads of Agreement / Hazelwood
5.  Andre Williams / Pardon Me
Dirty Laundry / Trikont
6.  Blacken the Black / From the Unreal to the Real
Entrance to the Exit / Echokammer
7.  The Come n’Go / Hey Mama
Something’s Gotta Give / Voodoo Rhythm
8.  Charlie Feathers / I Don’t Care (If Tomorrow Never Comes) / Nonesuch / Columbia
9.  Hoo Doo Girl / Hoo Doo Man
…calls the shots / Hazelwood
10.  Dale Watson / Look at Me Now