Fehlfarben – "Xenophonie"

VÖ: 18.05.2012
Web: http://www.fehlfarben.com/
Label: Tapete

Feindseligkeit entsteht aus Angst. Und so wird Fremdenfeindlichkeit gemeinhin auch als Xenophobie bezeichnet. Dieses Album vertont nun die Angst vor dem Fremden, vor der Veränderung, die Konstruktion eines negativen Fremdbildes, um die Erhabenheit des Selbstbildes zu legitimieren. Ob die resultierende Ignoranz nun Folge oder Basis des auf die Spitze getriebenen egoistischen Individualismus der aktuellen Gesellschaft ist, wird nicht beantwortet. Das überrascht auch keineswegs, trat Peter Hein doch schon immer als schräg lakonischer Beobachter auf. „Ich muss doch schon lang nicht mehr probieren / Die Lage, wie sie ist, zu kommentieren“, stellt er fest, nachdem er zuvor in gewohnter Eindringlichkeit „diverse Ekelhaftigkeiten unseres alltäglichen Lebens“ (Tocotronics Jan Müller) benannt hat. Erwähnenswert: der darauf reimende Verweis auf den ehemals so ernsthaften Job, der einen großen Teil Heins‘ Lebens geprägt hat. Irgendwie kauft man ihm diese Gelassenheit nun aber nicht so ganz ab, wie jemandem, der sich gerade echauffiert, indem er ähnlich eindringlich betont, wie fürchterlich egal ihm das doch alles ist. Die erste Single „Platz Da“ besitzt mächtige Ellenbogen und bringt die oben angedeuteten Auswüchse ziemlich gut auf den Punkt – und wenn es nur darum geht, als erster seine morgendlichen Brötchen zu bekommen, man hat sie sich ja schließlich verdient. Dass dabei vielleicht andere auf der Strecke bleiben, interessiert nicht.

Kein Artikel zu den Fehlfarben ohne ihre besondere Stellung im Kontext der deutschen Popmusik zu erwähnen. Eine Tatsache, welche die Band scheinbar selbst als Bürde empfindet und dementsprechend „das Frühwerk am Hals wie einen Mühlstein“ trägt. Eben dieses frühe Meisterwerk „Monarchie Und Alltag“ von 1980 stand ganz im Zeichen der damals noch recht jungen britischen Post-Punk-Bewegung um Pere Ubu, The Pop Group und der mittlerweile legendären Gang Of Four. Ohne jetzt die Klassenkampf-Plattitüde hervorzuholen, kann man sagen, dass dieses Album für die Working Class, für den kleinen Mann spricht. Wie es ebenjene Gang Of Four schon immer getan haben. Eine Zielgruppe, die in den 80ern unter dem aufkommenden Thatcherismus in Großbritannien jeden Fürsprecher gebrauchen konnte und es nach wie vor kann. Das haben die Riots in London eindrucksvoll bewiesen. Aber zwischen „Wutbürgern“, Umweltschützern und Internetaktivisten entfernen sich die so oft zitierten Scherenarme auch in Deutschland immer weiter voneinander. Soziale Missstände sollten, nein: müssen, wieder einen stärkeren thematischen Fokus auf sich ziehen. Kritik auf der Systemebene ist auch in dem Land, dem die wirtschaftliche Führungsrolle der gemeinschaftlichen – man beachte den militärischen Duktus – „Währungsfront“ zukommt, kein Tabu mehr. Wobei Peter Hein niemals direkt auf solche Ebenen vordringt, vielmehr ergibt sich die dringliche Botschaft als Gesamtton aus all den einzelnen Beobachtungen, die ungeschönt zur Schau gestellt werden.

Ungeschönt trifft auch auf den Klang von „Xenophonie“ zu, dafür hat Produzent Moses Schneider mal wieder hinreichend gesorgt. Das beste Beispiel für diesen rohen und doch jederzeit ausbalancierten Klang ist das Herzstück „Lang Genug“, in dem das Saxofon so wahnsinnig staubtrocken treibt. Was aber auch zu hören ist, – und das macht es zum besten Werk der Fehlfarben seit „Knietief Im Dispo“ – ist diese gewisse Spontaneität und Verspieltheit. Man kann sich gut vorstellen, wie Schneider, mit der üblichen Zigarette im Mund, in irgendeinem improvisierten Studio steht und die Bandmitglieder wild gestikulierend dazu anstachelt, einfach zu sagen, was sie zu sagen haben. Und sie haben viel zu sagen. Es gibt viel zu sagen. In der aktuellen, krisengeschüttelten Welt wirkt das Album wie eine ziemlich raue Brise. Manchmal fast unangenehm und doch notwendig – wie ein nasskühler Herbstwind. Und gegen diesen Herbstwind hilft auch kein Fortuna-Schal.

Das ByteFM Album der Woche.

Jeden Tag von Montag bis Freitag spielen wir im ByteFM Magazin zwischen 10 und 12 Uhr einen Song aus unserem Album der Woche. Ebenso im ByteFM Magazin am Nachmittag von Montag bis Samstag zwischen 15 und 17 Uhr und im ByteFM Magazin am Abend, montags bis freitags ab 19 Uhr. Die ausführliche Hörprobe folgt am Freitag ab 13 Uhr in Neuland, der Sendung mit den neuen Platten.

Unter allen Freunden von ByteFM verlosen wir einige Exemplare des Albums. Wer gewinnen möchte, schreibt eine E-Mail mit dem Betreff „Fehlfarben“ und seiner/ihrer vollständigen Postanschrift an radio@byte.fm.

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