Nubya Garcia – „Source“ (Concord Records)
Dass der spannendste Jazz der Gegenwart in Großbritannien produziert wird, müsste mittlerweile bekannt sein. Wenn nicht, hier die Kurzfassung: Inmitten von London hat sich im Verlauf der letzten Jahre ein sehr dichtes Netz an jungen Musiker*innen gebildet. Zum Teil sind sie Brit*innen und stammen überwiegend aus der afrikanischen Diaspora. Zusammen loten sie nicht nur aus, wie Jazz im Jahr 2020 klingen kann, sondern auch, was Jazz im Jahr 2020 überhaupt sein kann. Eine grenzenlose Klangwelt. Ein Gemeinschaftsgefühl. Eine Revolte.
Im Zentrum dieser Szene: Nubya Garcia. Wer einen Überblick über den aufregenden UK-Jazz erhalten möchte, muss sich einfach nur durch die Gastauftritte in ihrer Diskografie scrollen. Da findet man das genrevermischende Ezra Collective, sowie die zahlreichen Solotrips der Mitglieder. Da findet sich „Your Queen Is A Reptile“ von Sons Of Kemet, das womöglich wütendste Jazz-Album seit Charles Mingus. Und natürlich auch die Bands, die die 29-jährige Saxofonistin und Bandleaderin mit Wurzeln in Trinidad und Tobago sowie Guyana selber frontet: Das Highlife, Funk und HipHop verquirlende Septett Nérija, ihre Jazz-Fusion-Gruppe Maisha sowie ihre eigenen Nubya’s Five.
Jazz als Spiegel
Wobei „fronten“ bei diesen basisdemokratischen Kollektiven nie ganz stimmen kann. Deswegen ist es umso spannender, wenn Garcia ein Soloalbum veröffentlicht. Der einzige Name auf dem Cover von „Source“ ist ihrer. Obwohl Szene-Musiker*innen wie Ezra-Collective-Keyboarder Joe Armon-Jones mit dabei sind, hält Garcia alle Fäden in der Hand. „Source“ ist ganz und gar ihr Album.
Das Ergebnis ist ein stets in aufregende Richtungen abdriftendes Album, das trotzdem nicht den Fokus verliert. Auf „Source“ erklingen butterweicher Jazz-Funk aus der Herbie-Hancock-Schule („The Message Continues“), ätherische Balladen („Together Is A Beautfiul Place To Be“) und abenteuerliche Genre-Experimente (der virtuos groovende Dub-Freakout „Source“). Garcias mal weiches, mal sehr aggressives Saxofonspiel ist eines von zwei Bindegliedern, die diese Exkursionen zusammenhalten. Das andere – die thematischen roten Fäden, die Garcia in diesen Flickenteppich eingewoben hat: Solidarität zwischen Frauen („Stand With Each Other“), die eigene Geschichte („Before Us: In Demerara & Caura“) und die Erkenntnis der eigenen inneren Grenzenlosigkeit („Boundless Beings“). Garcia ist mehr als nur eine virtuose Saxofonistin – sie ist eine außerordentlich reflektierte Künstlerin, die Jazz als Spiegel für die Gegenwart nutzt.
Veröffentlichung: 21. August 2020
Label: Concord Jazz
Diskussionen
Ein Kommentarradiofan
Aug 28, 2020Das ist momentan das beste, was man momentan hören kann!