Rhi – „Reverie“ (Tru Thoughts)
Begibt man sich in die – aus heutiger Sicht nahezu antiken – Gefilde des Prä-2010er-Youtube, kann man ein mit wackliger Handykamera gefilmtes Video einer sehr jungen Teenagerin finden, die auf einem Konzertflügel mit zarten Fingern Claude Debussys „Reverie“ interpretiert. Das Mädchen ist Rhiannon Bouvier, die schon mit elf Lenzen auf den Künstlernamen Rhi hörte. Schon in diesem jungen Alter beherrschte sie die Gabe, die impressionistischen Pianotupfer des französischen Spätromantikers zum Schweben zu bringen. Eine Gabe, die die britische Songwriterin, Sängerin und Produzentin neun Jahre später auf ihrem – nach diesem Klavierstück benannten – Debüt auf den R&B des Jahres 2017 anwendet.
Zu Debussys Zeiten stand eine Reverie für ein tagträumerisches, assoziatives Musikstück. Passender hätte Rhi ihre Platte wohl kaum benennen können: Schon der Opener „The Same“ lädt mit seinen warm oszillierenden Klangflächen zum gemütlichen Abschweifen ein. Auch in der Single „Cherry Glow“ beweist die Multitaskerin ihre Fähigkeiten als Produzentin: Über einem entspannt groovenden HipHop-Beat in Zeitlupe flüstert Bouvier sehnsüchtige Zeilen, während im Hintergrund Ambient-Regentropfen plätschern.
Das passend betitelte „Night Driving“ erinnert mit seinen Two-Step-Hi-Hats und dem tiefer gepitchten Gesang an die Nachtmusik von Burial. Und der „Reverie“ abschließende Song „Let‘s Talk“ ist sowohl Kommunikations- als auch Engtanzaufforderung, der mit tiefem Bass und sehnsüchtigem Gesang gleichermaßen Herz und Füße anspricht.
Und im Album-Highlight „Too High“ sind sie wieder da: Bouviers impressionistische Pianotupfer. Zwischen ihren sanften Anschlägen tun sich ätherische Klangwelten auf, irgendwo zwischen dem James-Blakeschen Post-Dubstep-Soul und dem hochmodernen R&B von ihren Kolleginnen Ibeyi – und alles schwebt in Harmonie. Debussy wäre stolz.
Veröffentlichung: 3. November 2017
Label: Tru Thoughts