„Things We Lost In The Fire“ von Low wird 20 Jahre alt

Von ByteFM Redaktion, 22. Januar 2021

Cover des Albums „Things We Lost In The Fire“ von Low, das im Januar 2021 20 Jahr alt wird.

Low – „Things We Lost In The Fire“ (Kranky)

Miles Davis, Meister des extrem überladenen und minimal schwebenden Jazz, sagte einst: „Es geht nicht um die Noten, die Du spielst. Sondern um die Noten, die Du nicht spielst.“ Wenige Musiker*innen folgten diesem Ethos so extrem wie Mimi Parker und Alan Sparhawk. Seit den frühen 90er-Jahren macht das US-amerikanische Ehepaar Musik, deren größtes Merkmal das Auslassen ist. Ihre Songs sind voller Leerstellen, die von ihrem ultralangsamen Tempo nur verstärkt werden. Sparhawk lässt zwischen jedem Akkord so viel Raum, dass da eine ganze Meditationseinheit zwischen passen könnte. Parkers Drumset zeichnet sich auch durch seine Leerstellen aus, sie spielt nur eine Floortom, eine Snare und ein Becken. Schon der Name ihrer Band ist sinnbildlich für diese Stimmung: Low. Sie erschaffen ein musikalisches Tiefdruckgebiet.

Das einzige, womit sie auf ihrem Debütalbum „I Could Live In Hope“ diese Leerstellen füllen, ist Harmonie. Ihre Stimmen umarmten sich wie zwei zum Scheitern verurteilte Liebhaber*innen. Langsam, innig, jede Mikrosekunde genießend. Wissend, dass all das bald vorbei sein wird. 1994 erreichten sie mit dieser extrem ungriffigen Musik unerwartet große Indie-Erfolge, verstärkt durch ihre fast schon aggressiv leisen Konzerte, bei denen die Band als Protest gegen laut redendes Publikum ihre Amps noch weiter runterdrehte. Zeitgleich schufen Acts wie Arab Strap oder Codeine ähnlich melancholischen Zeitlupen-Dream-Pop – ein Genre war geboren: Slowcore.

Gletschern beim Weg durchs Tal zusehen

Wie es sich für alle guten Genre-Pionier*innen gehört, waren Low mit diesem Genrelabel nie zufrieden. Die „I-Could-Live-In-Hope“-Formel dehnten sie noch auf drei Nachfolger-LPs aus, doch 2001 war es Zeit für einen Neuanfang. Eine leise Revolutio, mit dem Namen „Things We Lost In The Fire“. Dieses Album wird am 22. Januar 2021 20 Jahre alt.

„Things We Lost In The Fire“ klingt beim ersten Hören nicht wie eine Revolution. Die grundlegenden Slowcore-Elemente sind beim Opener „Sunflower“ allesamt intakt: Das langsame Tempo. Die die Magengrube zum Oszillieren bringende Schwermut. Die das Herz massierenden Gesangsharmonien. Bassist Zak Sallys minimale Tontupfer. Produzent (oder Sound-Ingenieur, wie er selber bevorzugt) Steve Albini versieht den Song mit einem knochentrockenen Sound, der die Leerstellen nur noch mehr betont. Doch dann, zur Mitte, ertönen Streicher. Ein Quartett zerschneidet den Klangraum, lässt für ein paar Sekunden die Zeit still stehen. Und dann: Ein Schrei. Und der Refrain beginnt erneut, plötzlich mit ganz neuer Energie. Low arbeiten hier sehr subtil, der Schrei ist kein Hardcore-Shout. Und dennoch ist ihre Musik so sehr in Bewegung wie noch nie zuvor.

Diese Bewegung muss nicht schnell sein, um zu überwältigen. Das nur von einer Gitarre und einem Rassel-Loop angetriebene „Whitetail“ baut sich sukzessive zu einem Post-Rock-Gewitter auf. Als würde man im Zeitraffer einem Gletscher bei seiner langsamem Bewegung durchs Tal zusehen. „Dinosaur Act“ überrascht mit einer verzerrten Gitarre, Hammond-Orgel und Trompeten-Refrain, eingespielt von Shellac-Bassist Bob Weston. In „Whore“ spielt Sparhawk ein fuzzy Gitarren-Solo. Das Ergebnis klingt wie Dinosaur Jr. auf Valium. In „July“ trifft ein Fuzz-Bass auf Streicher, während Parkers Drums plötzlich so mächtig und verhallt klingen, als wären sie im Fahrstuhlschacht eines Hochhauses aufgenommen.

Die Kunst des Spannungsaufbaus

Auch in den stillen Momenten zeigen Low ungewohnte Varianz. „Laser Beam“ ist minimalistisch und lieblich, in der Tradition von Young Marble Giants. „Like A Forest“ mutet mit seinen Pianos und Streichern wie 60er-Jahre-Barock-Pop im Salzwassertank an. Der Höhepunkt des Albums ist das Ende, „In Metal“, das die lauten und leisen Qualitäten des Albums meisterhaft vereint. Ein abstraktes Drone-Intro leitet eine nostalgische Akustikgitarre ein. „Partly hate to see you grow / And just like your baby shoes / Wish i could keep your little body / In metal“, singt Parker, während im Hintergrund die gesamplete Stimme ihres Kindes erklingt. Ein erstaunlich hartes Bild für den Wunsch, das Kind wäre für immer jung. Eingeschweißt in Metall. Dieses gleichzeitig zarte und verstörende Bild wird von der Musik gespiegelt, die langsam aber sicher an nervöser Energie gewinnt und in einer Fuzz-Gitarre mündet. Ganz großes, gleichzeitig verwirrendes und ergreifendes Emotionstheater. Und dann, am Ende, wird wieder alles still.

Low spielten, bezogen auf das eingangs erwähnte Miles-Davis-Mantra, auf „Things We Lost In The Fire“ so viele Noten wie noch nie zuvor. Die richtigen ließen sie trotzdem aus. Diese LP zeigt Meister*innen des Spannungsaufbaus und der Stille. Dass sie dieses Handwerk immer noch beherrschen, demonstrierten sie erst 2018 mit ihrem aus digitalem Noise skulptierten Meisterstück „Double Negative“. Doch „Things We Lost In The Fire“ ist der Moment, in dem ihre Revolution begann. Als sie bewiesen, dass sie nicht nur die Stille beherrschen.

Veröffentlichung: 21. Januar 2001
Label: Kranky

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