VÖ: 05.02.2010
Web: http://massiveattack.com/
Label: Virgin
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Eines gleich vorneweg: Massive Attack gelingt mit „Heligoland“ nicht, was ihren ebenfalls aus Bristol stammenden Kollegen von Portishead 2008 gelungen ist. Die hatten ihren musikalischen Kosmos auf „Third“ ‚mal eben auf harsche, spröde Weise neu erfunden und damit ein „Comeback“, das eigentlich nur schief gehen konnte, in eine Sensation verwandelt.
Im Prinzip hatte es bei Massive Attack bereits im Jahr 2003 mit „100th Window“ eine – fast zwangsläufige – Neuinterpretation des eigenen Sounds gegeben. Nach dem Abgang von Andrew „Mushroom“ Vowles und Grantley „Daddy G“ Marshall war lediglich Robert „3D“ Del Naja verblieben. Zusammen mit Produzent Neil Davidge entwickelte er „100th Window“, das sich mit seiner atmosphärisch dichten und homogenen Klangwelt deutlich von seinen drei grandiosen Vorgängern unterschied – und bei den Kritikern fast einhellig durchfiel: zu kühl, zu düster, zu synthetisch.
Inzwischen ist Grantley Marshall wieder mit an Bord, und beinahe auf den Tag genau sieben Jahre nach „100th Window“ erscheint nun also „Heligoland“. Vom Sound des Vorgängers ist kaum etwas zu spüren, die Struktur des neuen Albums ähnelt auch eher den frühen Werken von Massive Attack, ohne diese zu kopieren. „Heligoland“ enthält zehn Songs, von denen vier bereits auf der letztjährigen EP „Splitting The Atom“ zu finden waren, wenn auch teils als Remixes. Das Titelstück dieser EP, eine fürchterliche Karikatur eines Songs, ließ für das neue Album wenig Gutes erwarten, aber insoweit kann Entwarnung gegeben werden: „Splitting The Atom“ bleibt der einzige – wenn auch krasse – Ausfall.
Dafür beginnt „Heligoland“ auf angenehm zurückhaltende Weise mit dem ebenfalls bereits von der EP bekannten „Pray For Rain“. Eine leicht düstere Stimmung, beinahe sanfte Trommelwirbel, ein von Beginn bis zum Ende des Songs gehaltener Spannungsbogen und der Gastgesang von Tunde Adebimpe (TV On The Radio) sind unzweifelhafte Belege, wie gut Massive Attack (immer noch) sein können. Die beiden von Martina Topley-Bird gesungenen Songs sind da schon eher von einer gewissen Routine geprägt, wobei „Babel“ mit stumpfen Stakkato-Beats und sanfter Elektronik den internen Wettstreit gegen die repetitiven Elemente von „Psyche“ klar gewinnt.
Horace Andy darf natürlich nicht fehlen (er gehört ja praktisch zum Inventar von Massive Attack), und so verwundert es nicht, dass auch „Girl I Love You“ eine gewisse Routine innewohnt, die gegen Ende des Songs aber zum Glück durch eine leicht bedrohliche Bläserkulisse und einige Hip-Hop-Beats aufgebrochen wird. „Flat Of The Blade“ sorgt mit obskur wabernder, ratternder und blubbernder Elektronik und einem fast verborgenen Groove für einen willkommenen Stilbruch, und es macht einfach Freude, jemanden wie Guy Garvey (Elbow) ausnahmsweise in einem solchen Kontext zu hören. Dies gilt natürlich auch für die wunderbare Hope Sandoval, deren Gesang ein weiteres Highlight von „Heligoland“ adelt. Sei es das Klatschen, der Basslauf oder das Klavier, bei „Paradise Circus“ passt einfach alles, und die Streicher am Ende des Songs könnten als vorsichtige Referenz an „Unfinished Sympathy“ oder „Sly“ verstanden werden.
„Rush Minute“ mit dem Gesang von Robert Del Naja, der immer ein wenig indifferent klingt, wirkt da im Vergleich unspektakulär, und ähnliches gilt für „Saturday Come Slow“. Hier irritiert vor allem, dass Damon Albarns Gesang sich wie ein merkwürdiges Morphing aus den Stimmen von Thom Yorke und Lou Barlow anhört. Einen gelungenen Abschluss des Albums bildet „Atlas Air“ (nochmal Robert Del Naja) mit einem spröden Groove, ungewöhnlichen Tempo-Wechseln und orientalisch klingender Perkussion, wobei die Sequenzer gegen Ende des Songs Erinnerungen an Nitzer Ebb hervorrufen und endgültig klar machen, dass man hier vergeblich nach Innovationen sucht.
So wird „Heligoland“ zunächst die vielleicht etwas zweifelhafte Ehre zuteil, zu belegen, wie cool und zeitlos das viel gescholtene „100th Window“ ist. Das aktuelle Album ist aber zugleich eine Aufforderung, die eigene Erwartungshaltung grundsätzlich zu hinterfragen. Muss eine neue Veröffentlichung denn immer mindestens eine Offenbarung oder Sensation sein? Reicht es denn nicht, dass ein neues Album einfach ‚mal „nur“ ein gutes Album ist? Im Falle von „Heligoland“ vorerst schon; über dessen Halbwertszeit möchte man jedoch nicht spekulieren.
Jeden Tag spielen wir im TourKalender einen Song aus dem Album der Woche. Die ausführliche Vorstellung folgt am Freitag ab 14 Uhr in Neuland, der Sendung mit den neuen Platten. Neuland wird wiederholt am Sonntag ab 16 Uhr.
Diskussionen
0 CommentsMarcus
Feb 1, 2010Einspruch!
Für mich ist „Splitting The Atom“ der beste Song des Albums!! Und weder eine „fürchterliche Karikatur eines Songs“ noch der „krasse Ausfall“ des Albums. Der Song ist groß und ich freue mich seit Erscheinen der EP vor allem wegen „Splitting The Atom“ auf die LP. Der ganze Rest kann da zwar nicht mithalten, ist aber größtenteils ebenfalls sehr gut.
Besonders freuen mich die Gerüchte, dass es ähnlich wie es damals zum Album „Protection“ noch ein vom Mad Professor geremixtes Album „No Protection“ gegeben hat, diesmal ebenfalls ein remixtes Album geben soll. Diesmal aber nicht vom Mad Professor sondern von Burial remixt!
Chris
Feb 1, 2010Massive Attack begleiten mich schon ziemlich lange auf meinem musikalischen Weg. Seit „100th Window“ habe ich alles was davor war immer wieder gerne aus dem Regal geholt. Ich glaube zwar nicht, das „Heligoland“ es schaffen wird, ein Klassiker wie z.B. „Mezzanine“ zu werden, aber ich bin bei dieser Band gerne bereit mich eines besseren Belehren zu lassen. Denn auch in ihren schwächeren Momenten ist MA noch immer besser als der Durchschnitt an zeitgenössischer Musik. Bin gespannt. Deshalb hätte ich das neue Album gerne!
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