Poté – „A Tenuous Tale Of Her“ (Rezension)

Bild des Albumcovers von „A Tenuous Tale Of Her“ von Poté

Poté – „A Tenuous Tale Of Her“ (Outlier)

7,9

Ob in preisgekrönten Romanen, Hollywood-Blockbustern, ob in der Bibel oder in Videospielen: Die (Post-)Apokalypse ist ein in so ziemlich allen Medien auftauchendes Motiv. Manchmal erscheint sie in erdrückendem Grau (bspw. Cormac McCarthys „The Road“), manchmal ist sie satirisch überzeichnet und erstaunlich bunt (bspw. die langjährige Videospielserie „Fallout“). Sie tritt auch in der Pop-Musik in Erscheinung. Aktuell besingen Ja, Panik auf ihrem neuen Album das Ende der Welt, als einzige Alternative zur Revolution. Was fast alle Verwendungen dieses ewigen Motivs eint: Es geht immer um einen fatalen „Point Of No Return“.

Allein durch seinen Titel wirkt „A Tenuous Tale Of Her“, das zweite Album von Poté, erst einmal nicht wie ein Weltuntergangswerk. „Eine unbedeutende Geschichte von ihr“ klingt mehr wie ein melodramatisches Trennungsalbum als eine Radiohead’sche Dystopie vom gesellschaftlichen Niedergang. Dennoch beschreibt Sylvern Mathurin, wie der in der Karibik geborene Wahl-Pariser mit bürgerlichem Namen heißt, diese LP als apokalyptisch. Als eine Sammlung verschiedener Reaktionen auf katastrophale Neuigkeiten.

Hoffnungsvolle R&B-Apokalypse

Das macht „A Tenuous Tale Of Her“ zu einem der wenigen Apokalypsen-R&B-Alben. Mathurin startete seine künstlerische Laufbahn 2015 mit elektronischer Musik, zusammengesetzt aus den Bouyon-Rhythmen seiner alten Heimat St. Lucia und dem Club-Puls seiner damaligen Heimat London. Seit dem 2018er Debüt- und Durchbruchsalbum „Spiral, My Love“ bugsiert sein weicher Gesang diese Musik weiter in Richtung Alternative-R&B. Die elektronischen Kanten seiner frühen Tage sind aber auch auf „A Tenuous Tale Of Her“ omnipräsent, das nun auf Bonobos Label Outlier erscheint. Sägezahn-Synthies und polyrhythmisch rasselnde Drums bieten einen angemessenen Kontrast zum humanistischen Weltschmerz der Vocals.

Die Weltuntergangsszenarien auf „A Tenuous Tale Of Her“ sind dabei gleichermaßen gesellschaftlicher und persönlicher Natur. „Open Up“ ist ein verzweifeltes Plädoyer an einen Menschen, der sich partout dem Kontakt verweigert. In „Stare“ beschreibt der Musiker Paranoia und Depression und ihre Auswirkungen auf den Geist: „No space to breath, to breath, to breath … .“ Auf „Young Lies“ klagt er das Versagen britischer Politiker*innen an – mit Unterstützung vom britischen Pop-Urgestein Damon Albarn, der schon seit Jahren Fan von Poté ist. Gemeinsam singen sie dort vergiftete Zeilen wie „The kiss of a crackhead is greater / Than the obsequious behaviour of your politicians“.

In den großen und kleinen Points Of No Return von „A Tenuous Tale Of Her“ gibt es viel von dieser Bitterkeit, doch Mathurins anderer Fokus liegt auf dem Überwinden von genau jener. Das geht am besten gemeinsam, wie der Abschlusssong „Together“ demonstriert – ein genauso versöhnliches wie tanzbares Stück Kunst-Pop, das dafür sorgt, dass Potés Apokalypse in einer hoffnungsvollen Note endet.

Veröffentlichung: 4. Juni 2021
Label: Outlier

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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