Die britischen Musiker Wiley und Goldie mit „Eskiboy“ und „All Things Remembered“
Wir werden zu denen, die wir sind, indem wir über uns erzählen. Darüber, wo wir herkommen, wo wir gerade sind, was wir gemacht haben, wie wir Dinge sehen. Im November sind zwei Biografien der einflussreichen britischen Musiker Wiley und Goldie erschienen, die genau das tun: die eigene Geschichte erzählen. In beiden Fällen geht es darüber hinaus, den einen, Goldie, als erfolgreichen Produzenten darzustellen, der um die Jahrtausendwende Drum‘n‘Bass auf die Bühne der Pop-Musik gehievt hat und den anderen, Wiley, als Godfather von Grime zu beschreiben, der dieses Genre wie kaum ein anderer geprägt hat.
Sowohl in Goldies „All Things Remembered“ als auch bei Wileys „Eskiboy“ geht es um mehr als Musikgeschichte. Es sind Storys über Gewalt und schwierige Kindheiten. Beide wuchsen in Großbritannien in prekären Verhältnissen auf. Goldie, der 1965 als Clifford Joseph Price geboren wurde, erlebte Pflegefamilien und Kinderheime, erfuhr Missbrauch und versuchte, sich immer wieder selbst zu behaupten. Richard Kylea Cowie alias Wiley, Jahrgang 1979, lebte nach der Trennung seiner Eltern mit seiner Schwester bei seiner Großmutter. Die Abwesenheit seiner Eltern hat den Musiker nachhaltig geprägt – anderen zu vertrauen, sei schwierig für ihn, schreibt er in seiner Biografie. Und dennoch wird gerade Wiley später zu einer Art Vaterfigur im Grime, zum unbedingten, aber hin und wieder auch unberechenbaren Förderer von Menschen.
In ihren Autobiografien schildern beide ihren Umgang mit den Wunden, die sie davongetragen haben. Für beide ist Musik, sind Crews und Labels Heimat geworden. Die wichtige Rolle anderer Menschen in ihren Leben wird in den Büchern auch dadurch deutlich, dass immer wieder andere Stimmen als ihre eigenen zu lesen sind.
In Wileys Eskiboy werden neben MCs wie Flow Dan und Scratchy, seinem Manager John Woolf und Big-Dada-Mitarbeiter Jamie Collinson auch Wileys Schwester Janaya und sein Vater Richard die Rolle der ErzählerInnen ein. Dazu kommen Texte aus Tracks des Grime MCs, was zusammen ein teilweise fragmentarisches Mosaik bildet. Es spiegelt vier Persönlichkeiten des Musikers – Richard, Kylea, Wiley und Godfather.
In kurzen Passagen deckt auch Goldie verschiedene Lebensphasen ab. Sie führen von seiner Entdeckung von Punk über seine Karriere als Graffiti-Writer in New York zu seinem Dasein als Drum‘n‘Bass-Star, Anaconda-Besitzer und Drogen-Konsumenten bis zur Gegenwart, in der er vom Leben mit Frau und Tochter in Thailand erzählt. In beiden Fällen ist das sprunghaft, aber dadurch auch unterhaltsam und kurzweilig. Neben Passagen über die Anfänge von Drum‘n‘Bass und Grime und darüber, dass Grime Drum‘n‘Bass viel zu verdanken hat, reflektieren beide Musiker über Politik in Großbritannien, Gangkriminalität und Rassismus. Beide haben durch Elternteile Bezüge zu Communities, deren Mitglieder aus der Karibik nach Großbritannien eingewandert sind, haben Rassismus erlebt und erleben ihn immer noch. Und beide fordern Weiße Vorherrschaft heraus.
Gleichzeitig nehmen Wiley und Goldie eine Perspektive der Diaspora ein – nicht nur als britische Aussiedler in Thailand (Goldie) oder auf Zypern (Wiley). Wiley schreibt, sein zu Hause sei „Nowhere“: „Because me and my people shouldn‘t be here, we should be back in Africa. And we‘re not. We‘re scattered across the earth.“ Wiley und auch Goldie machen den Nichtort zu ihrer Heimat, Musik zu ihrer Utopie. Sie liefern damit auch ein Plädoyer für Respekt, Verständnis und Menschlichkeit.
Beide Autobiografien liegen bisher nur auf Englisch vor. „Goldie: All Things Remembered“ (304 Seiten) ist bei Faber & Faber erschienen. „Eskiboy“ von Wiley (352 Seiten) ist bei William Heinemann als Hardcover erschienen und soll im Sommer 2018 als Paperback veröffentlicht werden.
Diskussionen
1 KommentareJan
Dez 23, 2017Vielen Dank für diesen sehr schönen Text und die Empfehlungen!