Talking Heads – „Speaking In Tongues“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 8. Januar 2024

Cover des Albums „Speaking In Tongues“ von Talking Heads, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Talking Heads – „Speaking In Tongues“ (Sire Records)

Da zum Jahreswechsel traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick nach hinten zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2023 ein Jubiläum gefeiert haben. In dieser Woche ist es „Speaking In Tongues“ von Talking Heads, das in jenem Jahr 40 Jahre alt geworden ist.

Gelöst erschienen die frisch wiedervereinten Talking Heads 1983 auf „Speaking In Tongues“. Zumindest in einem der New Yorker Band zuträglichen Maß. Denn plötzlich einem tiefenentspannten David Byrne zuzuhören, wäre vielleicht etwas seltsam gewesen. Schließlich gehörte dessen verklemmt-stressige Aura seit dem Debütalbum „Talking Heads: 77“ zur Band-Handschrift. Genauso seine prägnanten, zwar nicht willkürlichen, aber ungeordneten Texte. Oder der „eckige“, verstockte Funk seines Gitarrenspiels. Doch Talking Heads waren nie allein Byrnes Baby, sondern eine kollektive Unternehmung. Dass oft einen anderer Eindruck entstand, trug zu den Spannungen vor der vorübergehenden Bandauflösung bei. So war für „Remain In Light“ (1980), ihre dritte von Brian Eno produzierte LP, vereinbart, Bandmitglieder und Produzenten alphabetisch als Songautor*innen aufzulisten. Schließlich prägte der Beitrag von Bassistin Tina Weymouth und Drummer Chris Frantz die LP maßgeblich, wie schon die aus kollektiven Jams collagierte Vorgängerin „Fear Of Music“.

Doch als die Platte erschien, hieß es dort: „All songs written by David Byrne & Brian Eno“. Dazu hatte Byrne vermutlich Brian Eno überredet, mit dem er zu der Zeit eng zusammenarbeitete. Auf die steigenden Spannungen nach Jahren kreativer Sternstunden reagierte die Band vernünftig, indem die Mitglieder voneinander Abstand nahmen. Vielleicht ging die Krise auch mit einem kreativen Burnout – zumindest als Kollektiv – einher. So sagte Weymouth: „Wir haben so viele Jahre damit verbracht, originell zu sein, dass wir nicht mehr wissen, wie man originell ist.“ Nicht nur Byrne nutzte die Zeit kreativ, indem er mit Eno das Avantgarde-Album „My Life In The Bush Of Ghosts“ aufnahm. Fast erschien es, als würden sogar alle Mitglieder noch einmal neu aufblühen. Jerry Harrison etwa veröffentlichte sein Solodebüt „The Red And The Black“, unter anderem mit der Sängerin Nona Hendryx und dem Parliament-Funkadelic-Keyboarder Bernie Worrell. Beide sollten sich 1983 auch im erweiterten Talking-Heads-Line-up wiederfinden.

Rückkehr zur Leichtigkeit

Den wohl größten Coup während der Trennung landeten Weymouth und Frantz mit dem Debütalbum ihres neuen Seitenprojekts Tom Tom Club. Hier fand die Bassistin Platz für ihre Ideen, die Byrne und Eno als zu poppig oder zu eingängig abgetan hatten. Aufgenommen in den Compass Point Studios auf den Bahamas, wo sich das Ehepaar ein Haus gekauft hatte, barst das Album vor Lebens- und Spielfreude. Damit kehrte auch eine unschuldige Leichtigkeit ins Schaffen von Weymouth und Frantz zurück, die den Talking Heads unter Enos Avantgarde-Anspruch abhanden gekommen war. Gleich mit den ersten beiden Singles „Wordy Rappinghood“ und „Genius Of Love“ landeten Tom Tom Club einflussreiche Welthits. Dennoch blieb für die beiden Talking Heads die Hauptband. Obschon Byrne Tom Tom Club als „rein kommerziell“ abgetan haben soll, beeinflusste ihr Sound das Talking-Heads-Comeback-Album.

Wie oft in der Vergangenheit, fanden die ersten Songwriting-Sessions als Jams zu Hause bei Weymouth und Frantz statt. Am ersten Tag nahmen sie mit der Boombox ein funky Song-Gerüst auf, über das Frantz einen Slogan skandierte, den er bei einer rauschenden P-Funk-Gala aufgeschnappt hatte: „Burn Down The House! Burn Down The House!“. Daraus entstand die hymnische erste Single zu unserem Album der Woche. Der heutige Klassiker „Burning Down The House“ blieb der einzige Top-Ten-Hit der Band, zumindest in den USA. An den fulminanten, ungewohnt poppigen Opener knüpft „Making Flippy Floppy“ an. Zwar ist Byrne hier in klassischer Talking-Heads-Paranoia-Topform und der Song somit völlig mainstreamuntauglich, doch für die Tanzfläche funktioniert er ähnlich gut.

Urlaub von der Avantgarde

Der dritte Song „Girlfriend Is Better“ wurde erst 1984 eine Single zum Livealbum „Stop Making Sense“, dessen Titel sich auf eine Songzeile bezieht. Doch schon die Studioversion ist einer der herausragenden Tracks eines Album-Meilensteins. Aus ihm strahlt der fröhliche kreative Irrsinn von Tom Tom Club, den Byrne durch seine seltsame Autorität erdet. Damit ergänzen sich die entfremdeten Pole in der Band so gut wie in nur einem weiteren Song: „This Must Be The Place (Naive Melody)“. Über die scheinbar unbedarfte Melodie und den karibischen Groove singt Byrne tatsächlich ein Liebeslied. Dennoch ist es eher die Musik, die für eine nennenswerte Menschenmenge anschlussfähig ist. Denn wenn Byrne einen Lovesong singt, meidet er bewusst alle Klischees und Konventionen. Doch indem er Nachempfindbarkeit in Grenzen hält, macht er den Song umso persönlicher. Und wer möchte schon einen klassischen Schmachtfetzen aus Byrnes Mund hören?!

Nach dem Live-Album „Stop Making Sense“ machten Talking Heads noch ein beachtenswertes Album. Auf dem 1985 erschienenen „Little Creatures“ gingen sie musikalisch sogar noch weiter auf den Mainstream zu und Byrne sang sogar in einer zu seinen Stimmbändern passenden Tonlage. Zwar war das Ergebnis erneut hervorragend, aber nie klang die Band im Studio so locker wie auf unserem Album der Woche. Ein funky Bahamas-Urlaub vom Avantgardismus.

Veröffentlichung: 1. Juni 1983
Label: Sire Records

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