Jessica Pratt – „Here In The Pitch“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 6. Mai 2024

Cover des Albums „Here In The Pitch“ von Jessica Pratt, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Jessica Pratt – „Here In The Pitch“ (City Slang)

Es gibt Musiker*innen, die das Schweigen zum Singen bringen können. John Cage war so einer, mit seiner berühmten „Komposition“ „4’33“, die den Konzertsaal für vier Minuten und 33 Sekunden zum absoluten Schweigen verdonnert – und das Publikum dazu bringt, für einen kurzen Zeitraum dem Klang des Raumes zu lauschen, in dem sie sich gerade befinden. Mark Hollis und seine Band Talk Talk konnten das auch, auf Alben wie „Laughing Stock“ oder „Spirit Of Eden“, auf denen die Leerstellen lauter schallen als die Klangexplosionen. Und auch Jessica Pratt hat diese seltene Gabe.

Diese war schon auf ihren ersten zwei LPs spürbar, die die kalifornische Musikerin noch in DIY-Manier im Heimstudio aufnahm. Der Indie-Folk von „Jessica Pratt“ oder „On Your Own Love Again“ stach von Anfang an durch seine minimalistische Zurückhaltung heraus. Ihre an den Laurel-Canyon-Sound erinnernden Songs bestanden häufig nur aus Gitarre und Pratts Gesang. Doch besonders stark war ihr Händchen für magische Stille auf „Quiet Signs“, erschienen 2019 und das erste Album, das sie in einem professionellen Studio aufnahm. Ein Album, das seinem Namen alle Ehre machte: Pratt spielte ihre Songs in transzendentaler Ruhe. Ihr hoher, nasaler Nashville-Twang schwebte wie ein Geist durch den Raum, eingehüllt in Hall-Fahnen.

Das Ergebnis klang so, als würde sie alleine in einem gigantischen Konzertsaal singen, ohne Publikum – außer Dir natürlich. Und Du bekommst alles mit. Das Atmen, das Knarzen der Gitarre, das kaum wahrnehmbare Rauschen der Elektronik. Und das Innehalten zwischen den Songs. All das, was in den meisten Studio-Aufnahmen künstlich überspielt wird. Es war eines der intimsten und wunderschönsten Hörerlebnisse der vergangenen Jahre.

Der Stille beim Singen zuhören

Eine Qualität, die Pratt auch auf ihrem neuen Album mühelos halten kann. Und das obwohl es sich bei „Here In The Pitch“ um das bisher „lauteste“ Jessica-Pratt-Album handelt. Die LP beginnt nahezu wortwörtlich mit einem Paukenschlag: Die Single „Life Is“ eröffnet das Album mit Trommelwirbeln aus der Hal-Blaine-Schule, Streichern und Glocken. „The cursеs you keep won’t follow you now“, singt sie, mit deutlich dynamischerem Stimmumfang als gewohnt, mit neuer Kraft und Tiefe. Der Sound ist nicht weit von dem Wall Of Sound eines Phil Spectors entfernt – quasi die Anti-These zum singenden Schweigen. Zum Ende des nächsten Songs „Better Hate“ ertönt ein Bariton-Saxofon, das bei anderen Künstler*innen wahrscheinlich subtil wirken würde – doch im Pratt-Kosmos klingt es wie ein ohrenbetäubendes Donnern.

Bei diesem scheinbaren Maximalismus verwundert es nicht, welches Album Pratt als Haupteinfluss nennt: „Pet Sounds“, der notorisch verspielte 1966er-Baroque-Pop-Klassiker der Beach Boys. Die meisten Acts, die sich auf dieses Standardwerk berufen, beziehen sich auf seine komplexen Klangstrukturen. Doch Jessica Pratt ist nicht wie die meisten Acts. Für sie sticht etwas anderes bei „Pet Sounds“ heraus. „Es gibt da Momente, in denen es sich so anfühlt, als würdest Du für einen Moment nur das Studio hören“, erklärt sie. „Diese Momente waren für mich schon als junger Mensch faszinierend. Das Gefühl, Du könntest Deine Hand ausstrecken und die Textur des Raumklangs berühren.“ Wo andere abenteuerliche Arrangements hören, hört Pratt der Stille zu.

Übernatürlich ruhig

Und dieser Stille gibt sich Pratt auf „Here In The Pitch“ noch stärker hin als zuvor. „Life Is“ ist eine Finte, wie sie selbst zugibt, der Rest der Platte ist so übernatürlich ruhig wie gewohnt. Wie schon bei Talk Talk machen die (relativ) lauten Momente die leisen noch intensiver. In „World On A String“ ist jede Pause zwischen jedem Gitarrenanschlag viszeral fühlbar. Textlich ist „By Hook Or By Crook“ (wie viele Songs des Albums) eine recht finstere Angelegenheit, eine Erkundung der Schattenseite des goldenen Kaliforniens der 60er-Jahre. Doch die Musik dazu ist sanfteste Bossa Nova. Flöten und Orgeln rauschen durch „Get Your Head Out“ wie Wind durch ein lange leerstehendes Haus – und erzeugen genauso viel Gänsehaut.

Und dann ist da „Empires Never Know“, eine Klavier-Ballade, in der das Piano wie auf dem Grund eines Sees aufgenommen klingt und Pratts Stimme federleichte Pirouetten schlägt. Man sollte sich von dem Minimalismus nicht täuschen lassen – selbst in den ruhigsten Momenten von „Here In The Pitch“ passiert ziemlich viel. Man muss nur genau zuhören.

Veröffentlichung: 3. Mai 2024
Label: City Slang

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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Diskussionen

1 Kommentar
  1. posted by
    Mario
    Mai 7, 2024 Reply

    Sehr schön geschrieben!

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