Wesley Joseph – „Glow“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 20. Februar 2023

Cover des Albums „Glow“ von Wesley Joseph, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Wesley Joseph – „Glow“ (Secretly Canadian)

Ein gut gekleideter Mann steht auf der Tragfläche eines Flugzeugs. Trotz der nicht besonders lebensfreundlichen Umstände hoch über den Wolken sieht er ziemlich entspannt aus, mit seinem im Windkanal wehenden Hosenträgern. Er schaut nicht nur uns, sondern auch der in der Passagiermaschine sitzenden Protagonistin des Musikvideos zur Single „Sugar Dive“ in die Augen. Und rappt. „Dissemble your disguise / See your soul through the dark in your eyes.“ Seine durchdringenden Worte und entspannter Flow erreichen die angesungene Hauptfigur nicht wirklich. Sie hat eigene Probleme. Die Insassen des Flugzeugs schlafen allesamt tief und fest, mit von unheimlichen Schlafmasken bedeckten Gesichtern. Im Bordfernsehen läuft ein seltsamer Anime, in dem eine dem Rapper ähnelnde Figur im Ozean ertrinkt. Das wäre eigentlich alles schräg genug, doch unglücklicherweise schlafen auch die Piloten.

Der Geist von Wesley Joseph, dem Menschen hinter diesem Musikvideo, ist – wie der Inhalt schon erahnen lässt – ständig in Bewegung. Es handelt sich bei dem Briten um einen wahren Allround-Künstler. Der ehemalige Filmstudent rappt, singt, produziert, baut seine eigenen Instrumentals und dreht auch noch die Video-Clips. In einem Interview beschrieb er seinen täglichen Arbeitsalltag so: „Ich recycle und kreiere Samples, Sounds und Presets, ich mache Gesangseinstellungen, ich zeichne Skizzen, ich schreibe Gedanken auf, ich mache Screenshots, ich füge Dinge zusammen. Ich mache ungefähr zehn Sprachnotizen am Tag. Wenn ich aus einem Traum aufwache und dort im Hintergrund Musik ertönt, versuche ich sofort, diese Klänge mit meinem Handy aufzunehmen. Es ist ein nicht aufhörender Strom an Ideen.“ Auf seinem zweiten Studioalbum „Glow“ lässt er uns nun an diesem endlosen Ideenstrom teilhaben.

Im endlosen Ideenstrom

Ähnlich wie das besagte Video ist auch „Glow“ eine Aneinanderreihung von Überraschungen. Im eröffnenden Titeltrack strickt Joseph noch ein dichtes Harmonie-Netz aus Autotune-Gesang, irgendwo zwischen Imogen Heap und Bon Iver. Nach diesem experimentellen, klaustrophobischen Intro folgt „Monsoon“ mit jazzig zurückgelehntem HipHop in der Tradition seines Landsmannes Loyle Carner (auf dessen aktueller LP „Hugo“ Joseph als Feature-Gast zu hören ist). Seine Stimme wechselt nahtlos zwischen Falsett-Crooning und smoothem Rap, als wäre es das Leichteste auf der Welt.

Später kanalisiert er in „I Just Know Highs“ die nächtliche Melancholie von Frank Oceans „Blonde“, nur um im anschließenden „Cold Summer“ dissonante Streicher mit Trap zu kombinieren. Und dann ist da noch „Hiatus“, eines seiner größten Meisterstücke: Joseph rappt extrem persönliche Zeilen, einen Dialog mit seinem depressiven 18-jährigen Ich – über eine erneut das Klangspektrum des Albums sprengende Mischung aus Grime, UK-Garage, Dubstep und R&B.

Das mag sich vielleicht wie ein konfuses Genre-Mischmasch lesen. Doch Wesley Joseph hält all diese dispersen Fäden sicher in der Hand. Die acht sehr unterschiedlichen Songs von „Glow“ fließen wie selbstverständlich ineinander über. Gemessen an den immer länger werdenden Blockbuster-LPs ist es eine ziemlich kurze Platte, auf der es Wesley Joseph dennoch gelingt, seine Pop-Zauberei zu entfalten. Es ist ein Zauberstück wie ein Drahtseilakt auf der Flugzeugtragfläche.

Veröffentlichung: 17. Februar 2023
Label: Secretly Canadian

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“</“https://www.byte.fm/freunde/mitglied-werden/“a>

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