Neo-Psych – früher war mehr 60er?

Foto von Allah-LasAllah-Las (Foto: Laura-Lynn Petrick)

Die 80er sind gerade hip und am Horizont zeichnen sich schon seit einiger Zeit die 90er ab. Schlaghosen sollen ja gerade auch wieder das Ding sein. Und die 60er? Eigentlich waren die nie weg – zumindest wenn man ein wenig genauer hinschaut. Angefangen bei den kruden, an Psych angelegten Bands wie Television Personalities, über die Garagen-Bands der 80er und die hippieske Attitüde der Spät-80er-Raver (Inspiral Carpets, The Charlatans), bis hin zu dem offen mit 60er-Songs und -Sounds spielenden Britpop. Überhaupt: die 90er und das 60er-Revival in allen Bereichen. Da muss auch ein Austin Powers natürlich aus den 60ern kommen. Dann: der an The Velvet Underground angelegte Sound der Strokes und ihrer Nachfolger bis heute. Nein, wirklich weg waren die 60er nie.

Allerdings tritt dieses Jahrzehnt wieder zunehmend mehr in den Fokus. Beinahe beiläufig werden Serien mit dem garagigen Sound der Black Angels unterlegt (True Detective, Narcos). Der 50. Geburtstag von Star Trek wird gefeiert – nicht ohne dass dabei ein tiefer Blick in das Geburtsjahrzehnt geworfen wird. Der Hipster-Look der letzten Jahre ist geprägt von vielen 60er-Stilelementen. Sei es die schwere dunkle Brille, die Röhrenhose oder die Chelsea Boots – okay, die wurden ja schon vor einer Weile von bunten Sneakern abgelöst.

Und auf einmal sind die langhaarigen Jungs wieder auf den Bühnen der Indie-Bands. Mit schwarzen engen Jeans oder auch mal mit Hippie-Hemden. Was sich im Äußeren nur teilweise widerspiegelt, schlägt dann allerdings bei der Musik ganz offen durch und zwar auf der gesamten Bandbreite der 60er-Musik: Krautrock, Westcoast-Sunshine-Pop, früher Hardrock, experimentelle Soundausflüge, Garage, Beat. Für all diese Musik gibt es neue, junge Epigonen, die diese Musik in die Jetztzeit tragen. Einen Namen hat diese Musik auch: Neo-Psych. Den gibt es freilich schon länger, aber selten traf der Begriff musikalische Entwicklungen so gut wie im Moment, wo es unzählige Bands gibt, die Neo-Psych im Wortsinne spielen.

Zeitgleich entstehen überall in der Welt Psychedelic-Festivals. Das bekannteste ist wahrscheinlich das Levitation, früher Austin Psych Fest. Diese Festivals bedienen nicht nur die klanglichen Erwartungen, sondern versuchen auch, die psychedelischen Lichtshows wiederzubeleben. Das allerdings ist gar nicht so einfach, waren viele der damals für Lichtshows verwendeten Chemikalien hoch giftig und die Hallen noch deutlich kleiner. Gerade das Eindhoven Pych Lab oder das Liverpool Psych Fest beleben die 60er-Lichtshows mit digitalen Projektoren und Handkameras zu neuem Leben. Nebenbei sei hier das Hamburg Psych Fest im Hafenklang erwähnt, das dieses Jahr zum zweiten Mal stattgefunden hat.

Inzwischen finden sich selbst die originalen Bands von damals auf den Bühnen wieder. The Zombies, The Kinks, The 13th Floor Elevators, The Sonics und auch weniger bekannte Namen wie die britischen Kaleidoscope, Silver Apples, Os Mutantes und etliche andere touren wieder – soweit möglich sogar in Originalbesetzung. Nun deuteten gar die drei noch lebenden Mitglieder von Pink Floyd einen gemeinsamen Auftritt an.

Diese Entwicklung als reines Retro-Phänomen abzutun, wird den vielen innovativen, jungen Bands allerdings nicht gerecht. So entstehen aus den alten Ideen in Verbindung mit heutigen musikalischen Produktionsmitteln ganz neue Klangbilder. Klar gibt es Bands wie Allah-Las oder Night Beats, die – wenn auch sehr gut – reines Epigo­nen­tum betreiben. Aber gerade wenn Elektronik neu eingesetzt wird, entstehen wie bei Broadcast, Goat oder auch bei den Berlinern von Camera ganz neue, eigenständige Ansätze. Andere Bands fügen dem Klangbild typische 80er-Referenzen hinzu, sodass man schon gar nicht mehr weiß, ob man sie dem Neo-Psych oder einer Retro-80er-Entwicklung zuordnen soll. Bekannte Vertreter sind hier Sonic Jesus aus Italien oder die britischen The Underground Youth. Ein Jacco Gardner wiederum musiziert völlig unbekümmert vor sich hin, bedient sich bei frühen Pink Floyd genauso wie bei Soundtracks der 60er und 70er und wird mit diesem erfrischenden Sound beinahe beiläufig zum Liebling der Musikpresse.

Ja, das mit den Schubladen wird immer schwieriger. Natürlich trifft diese Feststellung auf beinahe alle Musikbereiche zu. Trotzdem scheint diese Entwicklung vor allem in Verbindung mit 60er-Einflüssen besonders spannende neue Bands hervorzubringen. Besonders die Festivals (siehe oben) seien hiermit wärmstens empfohlen: Als (Wieder-)Entdeckungsfelder aufregender Künstlerinnen und Künstler abseits des in den letzten Jahren doch recht glatt gewordenen (Indie-)Mainstreams.

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