Horsegirl – „Phonetics On And On“ (Rezension)

Von Jan Boller, 18. Februar 2025

Cover des Albums „Phonetics On And On“ von Horsegirl

Horsegirl – „Phonetics On And On“ (Matador Records)

7,9

Bereits die allererste EP „Horsegirl: Ballroom Dance Scene“ hatte 2020 großes Aufsehen erregt. Damals waren Penelope Lowenstein, Nora Cheng und Gigi Reece noch Schülerinnen. Drei 17-Jährige, die quasi im Vorbeigehen ungefähr 30 Jahre Indie-Rock-Kultur höchst fachkundig amalgamierten, das blieb in der aktiven Chicagoer Underground-Szene natürlich nicht unbemerkt. Und dann ging es richtig schnell – Horsegirl wurden für ihr Debüt „Versions Of Modern Performance“ flugs von Matador gesignt, einem der einflussreichsten Independent-Labels überhaupt, die Studioaufnahmen überwachte niemand geringeres als John Agnello (Sonic Youth, Kurt Vile) und die US-Ausgabe des Magazins „Rolling Stone“ widmete sich der jungen Band erst vorab mit einer ausgiebigen Homestory und spendierte anschließend eine hymnische Rezension.

Man könnte jetzt feststellen, dass der Zugang zu Fame und Celebrity-Status auch und gerade in Indiekreisen sehr viel mit den üblichen, höchst ungleichmäßig verteilten Privilegien zu tun hat. Im Falle von Horsegirl kann damit auch eine gut sortierte elterliche Plattensammlung gemeint sein. Lowenstein, Cheng und Reece hat die ausführliche Beschäftigung mit dem vielfältigen US-Indie-Kanon dahin gebracht, wo sie heute stehen. Und so ist der Eigenanteil von Horsegirl am wachsenden Erfolg neben unüberhörbarem Talent auch auf aufmerksames Zuhören zurückzuführen.

Süße Popmelodien & rauschendes Feedback

Der Aufstieg der Gruppe Horsegirl geht also – nicht ohne fremdes Zutun, trotzdem selbstverschuldet – unaufhörlich weiter. Alle drei Bandmitglieder sind fürs Studium von der großen Stadt Chicago in die noch größere Stadt New York gezogen. Und damit versammelt das Trio auf dem neuen zweiten Album „Phonetics On and On“ wieder allerlei Einflüsse in den elf Songs, lässt aber besonders die wechselvolle Popgeschichte dieser einzigartigen Stadt anhand zwei ihrer maßgeblichsten Vertreter anklingen. Der kurze Opener „Where‘d You Go?“ steht ganz im Zeichen von The Velvet Underground und das nachfolgende „Rock City“ verneigt sich vor den Gitarren von Sonic Youth. Es gehört zu den glückseligmachendsten Errungenschaften der Rockmusik überhaupt, wenn süßeste Popmelodien in rauschendem Feedback ertränkt werden. Das haben auch Horsegirl bisher ausgiebig zelebriert. Allerdings schlägt das Pendel auf „Phonetics On And On“ eindeutig Richtung Pop aus.

Es ist ein etwas zahmer Schrammel, den die Band mittlerweile anbietet. Produzentin Cate Le Bon hat bewusst Wert auf eine schlanke, aber ausdrucksstarke Produktion gelegt. Bass und Schlagzeug sind Arbeitsinstrumente und tun nur so viel wie nötig. Allein Chengs und Lowensteins Gitarren gönnen sich etwas Verspieltheit und verkritzeln das eng gefasste Klangkorsett ein ums andere Mal. Und wenn Streicher wie in „In Twos“ oder „2468“ dazukommen, sind das seltene Aha-Erlebnisse. Bei so viel Drang zum Minimalismus hat die Band für „Phonetics On And On“ gleich auch ihre Vorliebe für die schwebende Melancholie von Bands wie Stereolab, Broadcast oder Mazzy Star über Bord geworfen. So sind der Band ihre abstrakten und lärmbetonten Wunderwerke aus der Frühzeit zu Gunsten von mehr Eindeutigkeit verlustig gegangen.

Lautmalerei als Mittel zum Zweck

Zu erwachsen tut „Phonetics On And On“ aber dann doch nicht. Mit selbst eingeschränkten Mitteln wird das Slackerhafte und Juvenile so vielfältig wie nie ausgetragen. Die spartanischen Lyrics und der wiederkehrende Einsatz von Lautmalereien legen nahe, dass das Texten mitunter als mühselig oder unnötig empfunden worden ist. Oder eine Abwehrhaltung betonen soll, die Horsegirl aber eher gutgelaunt zelebrieren. „I’m translating my talk to tones“, heißt es in „Information Content“. Das bedeutet: Wer mehr wissen will, sollte nicht (nur) auf gesprochene Sätze achten. Und plötzlich ergibt auch der Albumtitel Sinn: Die Phonetik ist laut Duden die Wissenschaft von den sprachlichen Lauten – ihrer Art, Erzeugung und Verwendung in der Kommunikation – und die vielen Da-di-das und Whoo-Hoos, die in sämtlichen Songs vorkommen, sind für Horsegirl nicht Zeichen von Einfallslosigkeit, sondern Mittel zum Zweck, wie Sängerin Lowenstein in einem Interview erklärte.

Die Aneinanderreihung von Silben, die Aneinanderreihung von Zahlen und die Aneinanderreihung von gleichbleibenden Akkordfolgen bilden einen Höhepunkt im luftigen Pop-Sweetie „2468“: Da wird die Gitarre zum Ende hin so lange geschrammelt bis sie metallisch tönt, als hätte sich durch die ständige Wiederholbewegung eine Haut abgelöst. Und das skandierte „Switch over, switch off“ aus dem Song „Switch Over“ instrumentalisiert scheinbar sinnlose Handlungen von Kindern, die aus dem Überreizen von nervtötenden Bewegungen etwas Beruhigendes ziehen. Die Band hat viele solcher Easter Eggs in ihren Songs versteckt – und offenbart ihre Kunst im Detail und nicht in den großen Gesten. Und so ist „Phonetics On And On“ letztlich nicht das Resultat einer abgeschlossenen Erwachsenwerdung geworden, sondern ein weiteres Coming-Of-Age-Album, das höchstens für diejenigen nostalgisch anmuten mag, die die seligen Zeiten der vielfach zitierten Vorbildbands noch selbst erlebt haben. Horsegirl müssen vorsichtige Zukunftsoptimistinnen sein, denn anders kann man solche Musik nicht spielen. Das klingt in diesen bösen Zeiten unglaublich – unglaubwürdig macht sich das Trio damit nicht.

Veröffentlichung: 14. Februar 2025
Label: Matador Records

 

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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