Girl Ray – „Prestige“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 7. August 2023

Cover des Albums „Prestige“ von Girl Ray, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Girl Ray – „Prestige“ (Moshi Moshi)

Wir schreiben das Jahr 2023, die halbe Welt steht in Flammen, sowohl die Mieten als auch die Lebensmittel werden unbezahlbar und das vielleicht Einzige, was noch ein bisschen Spaß bringen kann, ist Disco. Der Rollschuh- und Glitzer-Sound der 70er- und 80er-Jahre scheint der perfekte Soundtrack für unsere alltäglichen Apokalypsen zu sein – und steht auch wieder hoch im Kurs, von den Chic-Throwbacks auf Beyoncés Blockbuster „Renaissance“, über die Mainstream-Pop-Hits von Dua Lipa oder Bruno Mars bis zu Kritiker*innen-Lieblingen wie Jessie Ware. Doch wer hätte erwarten können, dass die vielleicht schönste Post-Disco-Platte dieser Tage von drei Britinnen stammt, die vor wenigen Jahren noch gemütlichen Twee-Pop spielten? Das absolute Gegenteil zum High-Energy-Good-Vibes-Only-Sound von Disco?

Als Girl Ray 2017 ihr erstes Album veröffentlichten, waren Poppy Hankin, Iris McConnell und Sophie Moss noch Teenager. Mit dem Schulabschluss in der Tasche zogen die drei Britinnen ins Studio, um eines der charmantesten Indie-Pop-Alben des Jahres einzuspielen. „’Earl Grey‘ klingt nach einem Sommer voller Melancholie und bester Freundinnen – zartbitter, ein bisschen schläfrig und unschuldig“, schrieben wir damals im ByteFM Blog. Doch nun, sechs Jahre später, ist auf ihrem dritten Album „Prestige“ von der allgemeinen Schläfrigkeit und Melancholie nicht viel übriggeblieben.

Diese Transformation deuteten Girl Ray bereits mit den Synth-Pop- und Indie-R&B-Exkursionen ihrer zweiten LP „Girl“ (2019) an. Doch der stärkste Vorbote auf den neuen Sound war die 2021er Single „Give Me Your Love“. Ein siebenminütiger Disco-House-Bop, produziert von den Hot-Chip-Mitgliedern Al Doyle and Joe Goddard, der den Weg für „Prestige“ ebnete.

Von Liebe und Disco

Wie viele andere Acts sehnten sich Hankin, McConnell und Moss während der Covid-Isolation nach dem puren Eskapismus des Clubs. Inspiriert von der US-Serie „Pose“, die die Geschichte der queeren Ballroom-Kultur des New Yorks der 80er-Jahre erzählt, erträumten sie sich für „Prestige“ den Dancefloor als Zufluchtsort für tanzende Liebende. Denn die Liebe ist auf diesem Album genauso präsent wie die Disco an sich. Die Ich-Erzählerin des Openers „True Love“ hat schließlich ihren Rücken zur Wand in dunklen Tagen – und singt dennoch: „I cannot pretend to hide this love.“ „It’s your sweet words / Keepin‘ me alive“, singen sie später schamlos verknallt in „Hold Tight“.

Die Liebe spürt man auch in der Musik, die zum Besten zählt, was diese Band bis dato gemacht hat. Girl Ray spielen nicht einfach das Nile-Rodgers-Handbuch nach, sondern erfinden ihren ganz eigenen Dancefloor-Sound. Der instrumentale Star des Albums ist Moss, die mit ihrem Bass nahtlos zwischen tighten Oktav-Sprüngen und verspieltem Walking-Bass wechselt – und diese Grooves mit einer kleinen Portion Post-Punk-Gekratze aus der Orange-Juice-Schule vereint. Das musikalische Meisterstück ist „Up“, das mit Chickenscratch-Gitarre und Talking-Heads-Vibes beginnt, zur Mitte mit Streichern kurz innehält – nur um im Anschluss wieder mit einer mächtigen Reprise zurückzukehren. Die drei Stimmen sind genauso eng miteinander verschlungen wie auf „Earl Grey“, klingen hier im neuen Glitzer-Gewand aber plötzlich triumphal und gut gelaunt. So hemmungslos groovend wie auf „Tell Me“ klang diese Band noch nie. „Prestige“ ist eine maximal slicke, selbstbewusst in den Sonnenuntergang swingende Sommer-Platte, auf der ein Hit den nächsten jagt.

Veröffentlichung: 4. August 2023
Label: Moshi Moshi

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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