Rainy Miller x Space Afrika – „A Grisaille Wedding“ (Rezension)

Von Jan Boller, 22. November 2023

Cover des Albums „A Grisaille Wedding“ von Rainy Miller x Space Afrika

Rainy Miller x Space Afrika – „A Grisaille Wedding“ (Fixed Abode)

8,7

Manchester: Experimental-Electronic-Künstler Rainy Miller und Experimental-Electronic-Duo Space Afrika haben sich zusammengetan. Das ergibt in der Summe: ganz viel experimental und electronic music. Es ist aber nicht nur einfach ein Mehr vom Gleichen geworden. Der Musik von „A Grisaille Wedding“ nähert man sich am besten über einzelne Versatzstücke und Assoziationen, weil es nicht so einfach ist, zu verstehen, was das überhaupt für eine Musik ist und woraus sie gemacht ist. Allein der Albumtitel kann eine mittelschwere Gedankenlawine auslösen. Um es mit den Künstlern zu sagen: „A Grisaille Wedding“ beschreibt die Verbindung von zwei ähnlich motivierten Perspektiven auf einer gemeinsamen Erfahrungsgrundlage.

Ghosts Of My Life

Joshua Inyang und Joshua Reid aka Space Afrika haben bereits auf „Honest Labour“ von 2021 ihre Stücke mit allerlei Nebensächlichkeiten gefüllt. Field Recordings, Soundfetzen, Glitches. Frei nach John Cage bearbeiten Space Afrika mit Rainy Miller auch auf „A Grisaille Wedding“ ein Klangfeld, das dem Geräusch eine gleichwertige Existenz neben und in der Musik zugesteht: Lärm und Musik. Lärm in der Musik. Musik im Lärm. Selbst wenn da Musik in seiner handelsüblichen Form erscheint, als einfache Klaviermelodie beispielsweise, wirkt sie wie hinter einem Schleier, als geisterhafte Erscheinung. Es nebelt und gespenstert in den ehemaligen Industriemetropole Englands. Zumindest in der ersten Albumhälfte von „A Grisaille Wedding“ haben Space Afrika dieses Sound-Extrem etwas beschnitten bzw. Rainy Miller hat mit Stimme und Lyrik dafür gesorgt, dass auf „A Grisaille Wedding“ eine Bewegung in Richtung klassischer Songstruktur vollzogen wird.

Trotzdem: Space Afrika sind nach wie vor Sammler, Digger, Archäologen. Sie legen Schicht um Schicht Audiomaterial frei und schichten neues Audiomaterial auf: Ambient, urbane Soundscapes, Trip-Hop, Industrial. Immer mal wieder tauchen Reminiszenzen an dunklen Folk auf und ja, zumindest eine Wesensverwandtschaft mit Post-Rock à la Godspeed You! Black Emperor lässt sich auch feststellen – ohne deren Überwältigungskitsch. Genre-Definitionen sind für die Künstler dabei uninteressant, sie arbeiten an und mit Stimmungen.

Spukhafte Traumwelt

In England hat sich eine musikästhetische Auseinandersetzung mit den immer brüchiger werdenden sozialen Verhältnissen etabliert – das reicht von Stormzy bis Burial. Für Letzteren hatte der 2017 aus dem Leben geschiedene Kulturtheoretiker Mark Fisher den Begriffskomplex der Hauntology parat: Das postimperialistische England sah Fisher bevölkert von Geistern und Dämonen der Vergangenheit und aus einer verloren gegangen Zukunft. Es scheint so, als hätte sich eine junge Generation musikschaffender Personen aufgemacht, diesem Terminus entsprechend musikalische Formen zu gestalten und weiterzuentwickeln: Dazu gehören LA Timpa, Slauson Malone1, Dean Blunt, Mica Levi und Coby Sey. Levi und Sey sind auch zu hören auf „A Grisaille Wedding“, genau wie die belgische Formation Voice Actor. Vielleicht die merkwürdigsten „friends by interest“ von Space Afrika und Rainy Miller, deren Debütalbum „Travel By Telephone“ (2023) eine Collage aus sagenhaften 109 Stücken bildet. Voice Actor drehen in der ersten Hälfte des Openers „Summon The Spirit – Demon“ zu Spoken Words ein paar schiefe Ambient-Schleifen, bevor Rainy Miller aufzeigt, warum er auch schon „Lancashire’s Answer To Frank Ocean“ genannt wurde. Danach versteckt Mica Levi endlich einmal nicht Talent und die ebenso vielfältigen wie unverkennbaren Trademarks (hier: splatternder Bass, Schlieren aus Gitarren und/oder Elektronik) in der immer weniger zugänglichen Musik der letzten Solo-Alben „Ruff Dog“ und „Blue Alibi“. „Maybe It’s Time To Lay Down The Arms“, Levi legt unter die wehklagende Umarmung der eigenen Verzweiflung Rainy Millers einen stotternden Soundteppich: „I can’t fight these demons.“ Miller pitcht sich in höchste Gesangslagen, und das, obwohl er laut eigener Aussage überhaupt kein guter Sänger ist, nur mittels Autotune irgendwie doch reingeraten ist, in dieses, äh, „Sing-Ding“.

In “Sweet (I’m Free)” legen RenzNiro und Iceboy Violet tatsächlich einmal einen dick aufgetragenen HipHop-Track in Hi-Def auf, Space Afrika setzen kleine Kontrapunkte der Verfremdung dagegen, gefallen sich ansonsten als zurückhaltende Kuratoren des lärmenden Chaos.

Zum Ende geht „A Grisaille Wedding“ die Luft aus. Nicht qualitativ, das Album begreift sich nur zusehends in Auflösung. Mit Coby Sey besucht in „The Graves At Charleroi“, einem verwunschenen Fast-Folk-Song, einen Friedhof in Charleroi. Eine belgische Industriestadt, deren verlassene Fabriken den Ort zu einer ähnlich traurigen Hipster-Kultstätte wie beispielsweise Detroit haben werden lassen. Vom lärmenden Crescendo in „Let It Die“ lässt man sich doch noch einmal überfahren, bevor Gast-Sängerin Bobbieorkid im Schluss-Track bedauert: „I know I let you down.“ Sie singt aber auch: „I want to set you free.“ Und entlässt uns aus der spukhaften Traumwelt von Rainy Miller und Space Afrika.

Veröffentlichung: 16. November 2023
Label: Fixed Abode

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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