Beth Gibbons & Rustin Man – „Out Of Season“ (Album der Woche)

Cover des Albums „Out Of Season“ von Beth Gibbons & Rustin Man, das unser ByteFM Album der Woche ist.

Beth Gibbons & Rustin Man – „Out Of Season“ (Go Beat!)

Da zum Jahresende traditionell wenig neue Musik veröffentlicht wird, nutzen wir die Chance, den Blick nach hinten zu richten: Statt neuer Langspieler stellen wir wegweisende Alben vor, die 2022 ein Jubiläum gefeiert haben. In dieser Woche ist es „Out Of Season“ von Beth Gibbons & Rustin Man, das 2022 20 Jahre alt geworden ist.

Ein sanfte Erschütterung. So klang die Musik von Beth Gibbons, als sie Anfang der 90er-Jahre mit ihrer Band Portishead aus der Trip-Hop-Szene Bristols auftauchte. Mehr noch als die atmosphärischen Instrumentals ihrer Kollegen Geoff Barrow und Adrian Utley war es ihr trauriger und wunderschöner Gesang, der das Trio zu einer Sensation machte. Eine Stimme, die seit dem 1994er Debüt „Dummy“ untrennbar mit tiefster Nachtmusik verbunden war. Wie die bedrohlich durch die Gassen rasselnden Beats von „Mysterons“. Oder die verrauchten Nachtclub-Vibes von „Only You“.

Was aber nun, wenn diese Stimme diesen nokturnalen Klängen abschwört? Und stattdessen ein ganzes Album lang über klar strahlende Folk-Gitarren und Blechbläser singt? Was 1994 noch undenkbar gewirkt haben mag, wurde im nächsten Jahrtausend Realität: Auf „Out Of Season“, dem am 28. Oktober 2002 erschienenen gemeinsamen Album von Beth Gibbons und Rustin Man.

Die zweite Figur in dieser unerwarteten Neuerfindung ist selbst ein Meister der künstlerischen Neugeburt. Hinter dem Namen Rustin Man steckt der Brite Paul Webb, der Bassist der im Verlauf von zehn Jahren von Synth-Pop-Hitmakern zu Post-Rock-Visionären mutierten Talk Talk. Nach seinem Ausstieg 1988 wandte Webb sich mit seiner neuen Gruppe .O.rang ganz der experimentellen Rock-Musik zu – eine Band, für die sich Gibbons kurz vor dem Portishead-Durchbruch noch als Sängerin bewarb.

Pastoraler Folk und triumphaler Jazz

Statt Trip-Hop oder Post-Rock wagten Gibbons und Webb auf „Out Of Season“ etwas ganz anderes. Nach einem ausgedehnten Ambient-Intro eröffnet „Mysteries“ das Album mit einer sanft gezupften Akustikgitarre. „God knows how I adore life“ – diese ungewohnt hoffnungsvollen Worte singt Gibbons mit glasklarer Stimme, umgarnt von entferntem Chorgesang und einer noch weiter entfernten singenden Säge. „When the wind turns on the shores lies another day / I cannot ask for more“, geht es weiter. Diese Natur-Lyrik zieht sich durch die gesamte LP, später wird sie von Herbstblättern und teilenden Ozeanen singen. Das ergänzt sich perfekt mit der pastoralen Folk-Stimmung von Liedern wie „Sand River“ oder „Resolve“. Gibbons und Webb nannten passenderweise die Musik von Nick Drake als einen wichtigen Einfluss. Dieser wird in „Drake“ nicht nur namentlich, sondern auch musikalisch zitiert – der unruhig schaukelnde 5/4-Takt ist seinem Song „River Man“ entliehen.

Diese Folk-Stimmung wird immer wieder mit jazzigen und souligen Passagen ergänzt. Kurz nachdem in „Tom The Model“ noch eine knisternde Hammond-Orgel Portishead-Erinnerungen weckt, lassen Gibbons und Webb mächtige Bläser-Sätze erklingen. „Romance“ könnte musikalisch auch als ein etwas subtilerer James-Bond-Song durchgehen. In diesen neuen Klangwelten kann sich Gibbons nicht nur vor Nick Drake, sondern auch vor anderen Idolen wie Billie Holiday oder Nina Simone verneigen – ganz besonders in dem epochalen Albumhighlight „Funny Time Of Year“, in dem sie über einen bedrohlich flirrenden Jazz-Walzer ihrer Stimme ganz neue, mal triumphale, mal fast schon beängstigende Klangfarben entlocken kann. Auch in diesem Song kann man ihre sanfte Markerschütterung spüren. Nur klang die nie zuvor so warm und farbenfroh wie auf „Out Of Season“.

Veröffentlichung: 28. Oktober 2002
Label: Go Beat!

Bild mit Text: „Ja ich will Radiokultur unterstützen“ / „Freunde von ByteFM“

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