Madonna – „Like A Virgin“ (Album der Woche)

Von ByteFM Redaktion, 23. Dezember 2024

Cover unseres Albums der Woche „Like A Virgin“ von Madonna

Madonna – „Like A Virgin“ (Sire Records)

„Like A Virgin“ ist nicht das beste Album, das Madonna je veröffentlicht hat. Es ist nicht so aufregend wie ihr 1983er Debütalbum und hat auch nicht die Stringenz des Nachfolgers „True Blue“. Im Vergleich zu „Like A Prayer“ verliert es in der zweiten Hälfte an Tempo. Es hat auch nicht die provokative Strahlkraft von „Erotica“. Oder die musikalische Abenteuerlust ihres Meisterwerks „Ray Of Light“. Und es ist nicht einmal so seltsam faszinierend wie ihre katastrophalen Fehlschläge wie die müde Relevanz-Bestrebung „MDNA“ oder das überambitionierte sowie lauwarme Konzeptwerk „American Life“.

Und dennoch ist „Like A Virgin“, die 1984 veröffentlichte zweite LP von Madonna, ihr vielleicht wichtigstes Album. Vor dem Release war die US-Künstlerin eine ziemlich erfolgreiche Musikerin. Danach war sie einer der größten Popstars ihrer Generation.

Provokative Transformation

Der Weg zu dieser Transformation war nicht leicht. Madonna Louise Ciccone wurde 1958 in Bay City, Michigan geboren. Ihr Tanzstudium an der University Of Michigan brach sie nach nur einem Jahr ab, stattdessen zog die 20-Jährige mit 35 Dollar in der Tasche nach New York City. Hier begann ihre musikalische Laufbahn, erst als Drummerin für die Gruppe Breakfast Club, dann als Solokünstlerin. Das Label Sire Records nahm sie unter Vertrag und verhalf ihr zu ersten Single-Erfolgen – kontrollierte sie jedoch mit eiserner Hand.

Oder versuchte es zu mindest. Madonnas erste Jahre waren ein andauernder Kampf, den sie offen thematisierte. Im Interview mit dem Magazin Rolling Stone sprach sie schon damals von einem „chauvinistischem Arbeitsumfeld“, in dem sie nur wie ein „sexy little girl“ abgetan wurde. „Das ist, was Dir passiert, wenn Du eine Frau bist. Michael Jackson oder Prince würden niemals so behandelt werden.“ Diese Kämpfe starteten schon bei der Produzentenwahl für ihr selbstbetiteltes 1983er Debütalbum: Die Verantwortlichen von Sire Records wollten den slicken Sound von Jazz-Veteran und Produzenten-Newcomer Reggie Lucas, doch Madonna bestand auf dem moderneren Input vom DJ John Benitez, der dem Album seinen Proto-House-Feinschliff verpasste.

Ähnlich ging es zu beim Nachfolger. Nach dem frustrierenden Hin und Her des Debüts wollte Madonna ihre zweite LP selbst produzieren. Doch das Label verweigerte ihr dies. Stattdessen konnte sie sich „immerhin“ einen Produzenten ihrer Wahl aussuchen. Madonna entschied sich für Chic-Gitarrist Nile Rodgers, aufgrund seiner Arbeit an einer ihrer Lieblingsplatten: „Let’s Dance“ von David Bowie. Rodgers selbst wurde jedoch vor einer Zusammenarbeit mit ihr gewarnt, sie sei ja eine „schwierige“ Partnerin und sowieso eine „self-centered bitch“. Da ist er wieder, der Chauvinismus.

Satire klang selten so unwiderstehlich

Es brauchte nicht lang, um Rodgers von dem Gegenteil zu überzeugen – später beschrieb er sie als „absoluten Profi“. Und „professionell“ ist ein generell ein gutes Schlagwort für den Sound von „Like A Virgin“. Rodgers an der messerscharfen Chickenscratch-Gitarre und seine Chic-Kollegen Bernard Edwards und Tony Thompson an Bass und Drums sorgen für ein tightes Post-Disco-Fundament. Die Instrumentals bouncen und tänzeln gut gelaunt, genau wie Madonnas Stimme – die die Vielseitigkeit demonstriert, die sie später auszeichnen sollte. Mal bedient sie bewusst das Kindchen-Schema, dann klingt sie wieder satirisch schrill, nur um immer wieder zum großen Pop-Gesang zurückzukehren.

Wie beim Debüt stammen auch auf „Like A Virgin“ mehr als die Hälfte der Songs aus Madonnas Feder. Im Vergleich zu späteren Werken ist ihr Songwriting hier noch nicht voll ausgeprägt (mit zwei Ausnahmen: das euphorische „Over And Over“ und die von ihr verfasste B-Seite „Into The Groove“ – einer der besten Banger ihrer Karriere), die schwächere letzte Hälfte des Albums stammt fast ausschließlich von ihr. Songs wie „Shoo-Bee-Doo“ oder „Stay“ mäandern in ihren vier bis fünf Minuten vor sich hin, ohne große Dynamik oder Hooks. Sie sind gut, aber nicht genial.

Doch auf „Like A Virgin“ gibt es dennoch großen Pop-Genius. Während die LP nach dem gesanglich eindrucksvollen, aber schmierig-balladesken Cover „Love Don’t Live Here Anymore“ (der Song wurde vom Label-A&R Michael Ostin vorgeschlagen, Madonna und Rodgers wahren erst skeptisch und hätten wahrscheinlich ihrem Instinkt trauen sollen …) stark abbaut, sind es die Singles der ersten Hälfte, die die Platte dennoch unsterblich machen. Sie beginnt mit „Material Girl“, dem perfekten Stück Pop-Musik für die konsumbegeisterte Ronald-Reagan-Ära. Den bitterbösen Biss des Textes greift Madonna mit der Stimme mühelos auf: Sie meistert hier einen schwierigen Balanceakt zwischen Überspitzung und Eingängigkeit. Satire klang selten so unwiderstehlich.

Von Chauvinisten und Moralisten

Der sinnliche Dance-Pop von „Dress You Up“ ist ein weiteres Highlight, mit sleazy Gitarren-Solo von Rodgers und einer von Madonna fast schon geschrienen Hook, der wenig später von US-Chef-Moralistin Tipper Gore als ein Beispiel für die die Jugend ruinierende „vulgäre“ Pop-Musik benutzt wurde. Was uns nun endlich zum Titeltrack von „Like A Virgin“ führt. Madonnas bis dahin größte Provokation und größter Hit. „Like A Virgin“ ist ein erstes Beispiel für ihr Spiel mit katholischen Motiven: das Christus-Kreuz, das ihr im Video und auf dem Cover als Modeschmuck um den Hals hängt, die Fixierung auf Jungfräulichkeit, das bewusste Spiel mit dem Madonna-Hure-Komplex. Diese (Bild-)Sprache kombiniert sie mit erotischer Koketterie. Madonna hat den Song nicht selbst geschrieben und sich ihn dennoch sofort zu eigen gemacht, vom ersten „Woooh“ an.

Selbst Rodgers war das Thema erst zu heiß, bis er einige Tage später feststellen musste, dass dieser perfekte Pop-Refrain seinen Kopf einfach nicht verlassen konnte. Kurze Zeit nach Album-Release performte Madonna diesen Song, ihren ersten Nr.-1-Hit, bei den ersten MTV Video Music Awards. Im Brautkleid des LP-Covers, mit einem „Boy-Toy“-Gürtel um den Bauch, wand sie sich lasziv auf dem Bühnenboden. Für die prüden USA der frühen 80er-Jahre war das alles ein absolutes No-Go, doch für alle Pop-Fans war das eine unwiderstehliche Kombination.

Madonna wusste ganz genau, was sie da tat. Und musste von diesem Moment an niemanden mehr von irgendetwas überzeugen – ab dem Nachfolger „True Blue“ war sie stets selbst als Produzentin mit aktiv. Auf ihren anschließenden Alben konnte sie sich dementsprechend musikalisch noch besser ausdrücken und ihre Vision realisieren. Im Vergleich zu späteren Songs wie dem Oralsex und Jesus-Metaphern vermischenden „Like A Prayer“ wirkt „Like A Virgin“ fast schon zahm. Doch für die Ikonisierung von Madonna war dieser Song und dieses Album der entscheidende Moment.

Veröffentlichung: 12. November 1984
Label: Sire Records

 

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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