Damo Suzuki, ehemaliger Sänger der Band Can, ist am 9. Februar im Alter von 74 Jahren gestorben (Foto: Nick Soveiko, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons)
Im Mai 1970 stolperten vier Mitglieder der Gruppe Can in München über einen seltsamen Straßenmusiker namens Damo Suzuki. Wenige Stunden später war er ihr Lead-Sänger. Der japanische Künstler war die unberechenbare Urgewalt, die die von ihm gesungenen Can-LPs „Tago Mago“, „Ege Bamyasi“ und „Future Days“ zu den besten Krautrock-Platten machten. Die Musik von Can schien sich in dieser Ära in alle Richtungen gleichzeitig auszudehnen – mit Suzukis stets mutierendem Gesang als treibender Kraft. Mal flüsterte er geheimnisvoll, mal schrie er verzweifelt – nur um dann wieder zart und wunderschön zu singen. Nun ist er am 9. Februar 2024 im Alter von 74 Jahren gestorben.
Damo Suzuki nahm mit Can nur drei vollständige Alben auf – doch jedes einzelne von ihnen beeinflusste eine gigantische Riege an nachfolgenden Acts, von Punks wie The Sex Pistols über Art-Rock-Bands wie Radiohead bis hin zu Stadion-Acts wie U2 oder Blockbuster-Rappern wie Kanye West. Seit seinem Ausstieg bei Can im Jahr 1974 führte er eine vitale Solokarriere, mit einem besonderen Fokus auf improvisatorische Live-Konzerte. Ein Mensch, der mit seiner impulsiven Kreativität nur schwer still sein konnte. Bis zu seinem Tod blieb er aktiv.
Dieses umfangreiche Solo-Œuvre komplett zu durchsteigen, ist ein Lebenswerk an sich. Da alleine die drei Can-LPs schon ein mächtiger Nachlass sind, haben wir uns für diese kleine Retrospektive auf sein Schaffen in dieser Band fokussiert: Das hier ist Damo Suzuki in sechs Can-Songs.
„Don’t Turn The Light On, Leave Me Alone“ (1970)
Kenji „Damo“ Suzuki wurde am 16. Januar 1950 in der japanischen Stadt Kobe geboren. Mit 18 Jahren zog es ihn nach Europa. Als vagabundierender Straßenmusiker bereiste er den Kontinent – bis zu besagtem schicksalhaften Treffen in München, im Mai 1970. Die Can-Musiker Irmin Schmidt (Keys), Michael Karoli (Gitarre), Jaki Liebezeit (Drums) und Holger Czukay (Bass) hatten sich kurze Zeit vorher von ihrem Gründungsmitglied und Sänger Malcom Mooney getrennt. Die seltsame Straßen-Performance des Autodidakten Suzuki beeindruckte die vier so sehr, dass sie ihn an Ort und Stelle einstellten: Am selben Abend standen sie mit Suzuki auf der Bühne – und eines der besten Band-Line-ups war komplett.
Im selben Jahr entstanden die ersten Aufnahmen in neuer Besetzung (1970 versammelt in der Compilation „Soundtracks“) – und die allererste ist direkt ein Highlight: „Don’t Turn The Light On, Leave Me Alone“, aufgenommen für den Soundtrack des obskuren Softpornos „Cream – Schwabing Report“, ist für Can-Verhältnisse ein recht bluesiger Song, mit dirty Slide-Gitarre und treibendem Bass-Groove – der aber dank Suzukis bedrohlicher Performance alles andere als rückwärtsgewandt klingt. Hier ertönt zum ersten Mal sein gleichzeitig unheimliches und gelangweilt klingender Murmelgesang, mit dem Suzuki sein Publikum in ständiger Anspannung lässt. Selbst zum Höhepunkt des Songs wird er nicht wirklich laut – und doch kann man für keine Sekunde weghören.
„Mushroom“ (1971)
Die von diesem Spannungsaufbau versprochene Explosion erklingt ein Jahr später, auf dem Album „Tago Mago“. Im Refrain von „Mushroom“ ergibt sich Suzuki ganz der Verzweiflung, sowohl inhaltlich als auch akustisch. Immer wieder schreit er „I’m gonna give my despair“ und verschwimmt dabei mit Karolis verzerrter Gitarre. Song Nr. zwei „Mushroom“ ist in vielerlei Hinsicht ein Meisterwerk – Liebezeit und Czukay grooven hier um ihr Leben – doch vor allem ist es ein frühes Glanzstück für den immer unvorhersehbaren Sänger Damo Suzuki.
„Bring Me Coffee Or Tea“ (1971)
Doch damit nicht genug: Das Album „Tago Mago“ schließt mit einem weiteren Glanzstück – aber aus der anderen Richtung. „Bring Me Coffee Or Tea“ ist rein musikalisch genauso nervös wie die anderen Songs, mit Czukays seltsamen Bass-Spiralen, Schmidts flirrenden Keyboard-Sounds und Liebezeits desorientierendem Drumming. Doch Suzuki zeigt sich von einer anderen Seite: mit zartem, fast schon flehenden Gesang. Er verwandelt den Wunsch nach einem Heißgetränk in eine existenzialistische Bitte – die erst zum Ende mit plötzlich ausbrechendem Geschrei zu einem Befehl wird.
„Turtles Have Short Legs“ (1971)
Die Standalone-Single „Turtles Have Short Legs“ zeigt einen faszinierenden Einblick in ein Parallel-Universum, in dem Can keine Pop-Avantgardisten, sondern Psych-Rock- und Beat-Hitmaker geworden wären. Die catchy Gitarren-Licks und klimpernden Piano-Riffs könnten sich auf jeden Fall problemlos in die Kinks- oder Rolling-Stone-Diskografie einfügen. Über diese unbekümmerte Musik zeigt sich Suzuki als charismatischer Sänger – der auch die Kunst des euphorischen Pop-Songs beherrscht.
„Spoon“ (1972)
Auf dem nachfolgenden Studio-Album „Ege Bamyasi“ zeigen sich Can wie gewohnt in all ihren Facetten: Es gibt einen gleichzeitig sanften und bedrohlichen Walzer („Sing Swan Song“), ausgedehnte Noise-Improvisationen („Soup“), groovy Psych-Funk („Pinch“, „Vitamin C“) – und auch einen fast-schon-Pop-Hit. Mit „Spoon“ knackten Can zum ersten (und einzigen) Mal die deutschen Single-Charts. Kein Wunder, bei der Art und Weise, mit der sich Suzuki in der Hookline in Schlangenlinien in den Gehörgang gräbt. Ein Song, der gerade aufgrund seiner Weirdness unglaublich eingängig ist.
„Spray“ (1973)
„Future Days“, das letzte mit Damo Suzuki aufgenommenen Can-Album, hat im Vergleich zu den Vorgängern am wenigsten Vocals. Stattdessen fokussierte sich die Band auf atmosphärisch plätschernden Ambient und endlose Grooves. Doch inmitten dieser langen Stücke ertönt stets für ein paar Momente Suzukis Stimme, als Anker im Klangmeer. In „Spray“ tanzt sein Murmelgesang anmutig um Karolis Gitarre, während der Rest der Band beide in der Schwebe halten – ein schönes Ende für eine der ergiebigsten Zusammenarbeiten der Pop-Geschichte.
Einen ausführlichen Nachruf auf Damo Suzuki gab es auch am 11. Februar 2024 in der Sendung Schraubenzieher mit Marius Magaard. Mitglieder unseres Fördervereins „Freunde von ByteFM“ können die Ausgabe jederzeit in unserem Sendungsarchiv nachhören.