Soap&Skin – „Torso“ (Rezension)

Von Jan Boller, 26. November 2024

Cover des Albums „Torso“ von Soap&Skin

Soap&Skin – „Torso“ (PIAS)

8,2

Anja Plaschg, die sich als Künstlerin Soap&Skin nennt, mag eigenwillige Cover. Auf ihrer EP „Narrow“ drehte sie den melancholischen Tanzfeger „Voyage Voyage“ (im Original von Desireless) einmal auf links. Seither ist das Lied Teil ihres Live-Programms, ebenso wie die auf der „Sugarbread“-EP veröffentlichte Neuinterpretation von „Me And The Devil“ (Robert Johnson / Gil Scott-Heron). Ihr letztes reguläres Studioalbum „From Gas To Solid / You Are My Friend“ endete mit „What A Wonderful World“. Allen drei Songs ist gemein, dass sie in der Bearbeitung durch die österreichische Musikerin und Schauspielerin eine tiefgreifende Veränderung durchmachen durften.

In der Folge eines gefeierten Auftritts beim Donaufestival im Jahr 2022, bei dem Soap&Skin ausschließlich Coversongs spielte, entstand schließlich die Idee zu einem ganzen Cover-Album. Jetzt ist es erschienen und heißt „Torso“. Die Erwartungshaltung seitens des geneigten Publikums dürfte dabei zweierlei beinhalten: Da ist einmal die Song- und Künstler*innenauswahl und im Nachgang dazu die Beziehung von interpretierender Künstlerin zu interpretierter Person. Soap&Skin ist niemand, die mit sprichwörtlich zweiter Haut herumläuft. Sie wisse nicht, ob sie noch bei Verstand oder überhaupt noch am Leben wäre, gäbe es die Musik nicht in ihrem Leben, hat die Sängerin einmal gesagt. In die Seele dieser Künstlerin blicken zu dürfen, es ist ein verlockendes Angebot, das [notartist Soap&Skin ihrer Hörer*innenschaft macht.

Versinken in fremden Liedern

Zwölf Fremdkompositionen sind auf dem Album vertreten und damit hätte „Torso“ ja auch „Twelve“ heißen können, aber das gibt es ja schon. Patti Smith, hatte 2011 auf ebenjenem Album größtenteils Songs von Künstler*innen aus der eigenen Generation und aus dem eigenen künstlerischen Milieu teilweise passgenau gecovert. Das machte die Auswahl etwas dröge. So ein Ansatz ist sicher nicht die Sache von Soap&Skin. Der Titel des Albums, „Torso“, meint den Rumpf, bei dem die Gliedmaßen entfernt worden sind, auf dem Albumcover bildhaft illustriert als im Raum schwebende dreidimensionale Plastik – dahinter versteckt sich die an- und enteignende Künstlerin.

Denn Soap&Skin covert nicht einfach, sie versenkt sich regelrecht in fremdes Liedgut. Ob Stimmung oder Text: Es gibt immer etwas, das den tiefen persönlichen Bezug von Plaschg zu den ausgesuchten Liedern logisch erscheinen lässt. Manche sind wohl auch einfach Lieblingslieder. Vor allem die Verbundenheit und Solidarität ausstrahlenden Songs von alten und neuen Freunden und Freundinnen sind tatsächlich in ihrer Grundform beibehalten worden, auch wenn diese Piano-Adaptionen von Akustik-Gitarrenliedern allesamt ein bisschen schwermütiger und langsamer gehalten sind („Maybe Not“ von Cat Power). Und wenn Sufjan Stevens für den Film „Call Me By Your Name“ geschriebener und Oscar-nominierter Song „Mystery Of Love“, der die Beziehung von Elio und Oliver aus dem Film aufgreift, auf einmal hastig wirkt, ist das ein netter Kollateralschaden.

Die Hingabe, mit der sich Soap&Skin an dem Fremdmaterial abarbeitet, ist atemberaubend. Das ausgesuchte Songmaterial zeugt von Stil, gleichzeitig ahnt man, dass Anja Plaschg nichts egaler sein könnte als das anerkennende Kopfnicken Bescheid wissender Musikgourmets. Dass sie einen monumentalen Schinken wie „The End“ adaptiert, zeugt von Selbstbewusstsein. Das Original wird nicht einfach ironisch zerlegt, sondern darf noch weiter anschwellen – und das mit reduzierten Mitteln.

Zwischen Himmel und Hölle

Die so bearbeitete Musik findet ihren Weg schlussendlich doch immer zurück zu den bekannten Grundmotiven im Schaffen von Soap&Skin. Der mit Streichern und Hörnern beschwerte Goth-Horror, der Plaschgs Anti-Heimat Österreich als Bezugspunkt hat, ist auch präsent, wenn Soap&Skin die Lieder anderer Menschen singt. Und auch wenn so ein Waldhorn zwischenzeitlich weihnachtlich einzukuscheln vermag (Tom Waits‘ „Johnsburg, Illinois“) – dunkel und ausdrucksstark muss es bei Soap&Skin immer sein. Dass sie nicht raus kann aus dieser ihrer Haut, zeigen ihre Adaptionen von „Pale Blue Eyes“ (The Velvet Underground) und „Gods And Monsters“ (Lana Del Rey). Zwischen Himmel und Hölle: Das Profane wird sakral und das Lebendige wird untot. Wenn Soap&Skin dem abgründigen „Gods And Monsters“ mit Grabesstimme und geändertem Text alles Leben aushaucht, mag das als gelungenes Experiment gelten, allerdings wird „Gods And Monsters“ durch die korrigierte Message nicht besser (oder anders gut), sondern verliert sein ambivalentes Charisma. Womöglich deshalb ist dieses Stück nur in der Digitalversion von „Torso“ enthalten.

Am tollsten, auch das ist eine Eigenheit wirklich spannender Coveralben, sind am Ende die Songs, die man anfangs kaum registriert hatte. „Born To Lose“ hatte schon ein Stück Weg hinter sich (hieß ursprünglich „Aria“ und kam aus Italien, es gab aber auch unzählige Versionen in anderen Sprachen und sogar eine instrumentale Klarinettenversion von Acker Bilk) bevor er bei Shirley Bassey landete. Typischerweise sang Bassey nur einen von einem Mann (Norman Newell) verfassten Text: eine Huldigung passiver Weiblichkeit. Die dreifache James-Bond-Interpretin Bassey hat diesem Triumphgeheul akzeptierender Einsamkeit tatsächlich so etwas wie Empowerment abringen können, doch findet in der Entkleidung durch Soap&Skin das Lied zu einer Form, die passender (oder: zeitgeistiger) zu sein scheint.

Veröffentlichung: 22. November 2024
Label: PIAS

 

Bild mit Text: Förderverein „Freunde von ByteFM“

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