Sendungen

Was ist Musik Good Pop, Bad Pop – Wenn der Jarvis erzählt

ByteFM: Was ist Musik vom 17.10.2022

Ausgabe vom 17.10.2022: Good Pop, Bad Pop – Wenn der Jarvis erzählt

„Ich hortete Guten Pop, um Bösen Pop abzuwehren.“ (Großschreibung im Original.) Das ist so ein Jarvis-Cocker-Satz aus „Good Pop, Bad Pop – Die Dinge meines Lebens.“ Das Buch ist eine hoch unterhaltsame Mixtur aus Autobiografie, Popgeschichte, Wimmelbild und The Making & die Ästhetik of Pulp. Pulp, das ist die Band, die sich Cocker als kleiner Junge ausgedacht und als großer Junge realisiert hat. Autobiografie und Popgeschichte verknüpft er etwa so:

„Natürlich bin ich nicht der Einzige aus meiner Generation, der als Kind von den Beatles besessen war – keine Beatles, kein Br*tp*p. Wie hätte ich auch nicht von ihnen besessen sein können? »She Loves You« stand am Tag meiner Geburt auf Platz eins der Charts. Mein Vater zog 1970 bei uns aus, im selben Jahr, als sich die Beatles auflösten. In der Zeit dazwischen waren sie in meinem Leben präsent wie ein wohlmeinender Schatten. Um ein echter Fan zu sein, war ich noch zu jung – aber GESPÜRT habe ich sie trotzdem. Vielleicht wirkte der Zauber, den sie auf mich ausübten, dadurch noch stärker.“

Wimmelbild? Das sagt der Verlag: „Als Jarvis Cocker sich daran macht, seinen Dachboden aufzuräumen, stößt er auf ein kaum zu überschauendes Durcheinander von Gegenständen, die alle mit einem Moment seines Lebens verknüpft sind, und die merkwürdige Fragen aufwerfen: Wer glaubst du, zu sein? Was bedeutet dir Kleidung? Und wieso liegen hier oben so viele kaputte Brillen? Fotos, Eintrittskarten, ein orange-grünes Polyesterhemd, halbvolle Kaugummiverpackungen, alte Magazine und angefangene Notizbücher? Jarvis beginnt zu sortieren. Und er beginnt, sich zu erinnern. An eine Jugend im Sheffield der 70er, den naiven Traum, Popstar zu werden, an die Schule und an Jobs, und an eine Erfolgsgeschichte, die ihn zu einem stilbildenden Musiker der goldenen Britpop-Ära machen sollten.“

Wobei die „goldene Britpop-Ära“ nun auch schon bald 30 Jahre alt ist und die Frage Blur oder Oasis nicht zu den allerdrängendsten unserer Zeit zählt (die richtige Antwort war ja schon immer: Pulp). Im Unterschied zu den Gallaghers und Blur gab es ja für Jarvis Cocker ein kreatives Leben nach Britpop, als Autor, Radiomacher, Public Persona und als Musiker, der weit über Britpop hinaus denkt und tut. Trotzdem hat das Buch naturgemäß eine gewisse nostalgische Schlagseite, was Cocker aber ganz gut auffängt mit Lakonie, Understatement, Selbstironie …

& dann ist da noch die Sache mit dem &. Zu den funny/funky Spleens des Jarvis Covker zählt die Angewohnheit, das Wort und durch das Zeichen & zu ersetzen.  &. Wie in C&A, M&M, R&B, Sonny&Cher … oder wie in der folgenden Passage, die deutsche Boomerjungs schmerzhaft nachempfinden können:

„& Klamotten.

Was für eine Erleichterung. Es könnte allerdings auch noch einen anderen Grund haben, dass ich mein kreatives Manifest mit der Garderobe begann. Bis zu diesem Moment in meinem Leben waren alle meine Kleidungsstücke von meiner Mutter oder anderen Verwandten gekauft worden. & das hatte mich ziemlich belastet.

Das schmerzhafteste Beispiel war die kurze Lederhose, die die deutschen Schwiegereltern meines Onkels John mir als Geschenk schickten, als ich ungefähr sieben war. Sie waren aus grauem Wildleder mit flaschengrünem Ledersaum & mit passenden Hosenträgern ausgestattet, auf dem Brustschild ein aus Horn geschnitzter Hirsch. Darin sah ich aus wie ein Ziegenhirte aus den Alpen. Aber meine Mutter meinte, ich könne darin gut zur Schule gehen.

Sobald ich das Schulgelände betrat, ging der Spaß los  – & es wurde noch besser, als einer meiner Klassenkameraden entdeckte, dass die Hose vorne zwei Reißverschlüsse hatte. Zu der vertrauten Beleidigung »Vierauge« wegen meiner Brille gesellte sich ein weiterer – jetzt war ich Jarvis »Doppelpimmel«. Wie gesagt: belastend.“

Am 20. Oktober wird Jarvis Cocker in Frankfurt am Main aus „Good Pop, Bad Pop – Die Dinge meines Lebens“ auf Englisch lesen, ein deutschsprachiger Schauspieler (t.b.a.) wird auf Deutsch lesen und dann werden wir ein ausführliches Gespräch führen. Über Pop & Kindheit, die Segnungen der Kurzsichtigkeit und kaputte Brillen, Acrylhemden und selbstgestrickte Krawatten, Velvet Underground und Margaret Thatcher, Class und subversive Affirmation, Marianne Faithfull und Peter Sarstedt, performative Unsportlichkeit und John Peel. Und Lederhosen.

20.10.22, Frankfurt am Main, Zoom, Carl-Benz-Straße 21, 20.30 Uhr.

Heute in Was ist Musik: The Best Of „Good Pop, Bad Pop – Die Dinge meines Lebens“.

Kommentare

(Noch keine Kommentare)
Eingeloggte "Freunde von ByteFM" können Kommentare hinterlassen.

Playlist

1.  Jarvis Cocker / I Never Said I Was Deep
Further Complications / Rough Trade
2.  Chilly Gonzales / Snow Is Falling In Manhattan
A Very Chilly Christmas / EG
3.  Pulp / Sheffield Sex City
Sheffield Sex City / Mercury
4.  Pulp / Common People
Sheffield Sex City / Mercury
  Pulp / Cocaine Socialism
Sheffield Sex City / Mercury
  Pulp / Weeds II (Origin Of The Species)
We Love Life / Mercury
  The Beatles / Tomorrow Never Knows
Revolver / EMI
8.  Marianne Faithfull / If I Never Get To Love You
Marianne Faithfull / Decca
9.  Peter Sarstedt / Where Do You Go To
Where Do You Go To / BGC
10.  Jarv Is / House Music All Night Long
Beyond The Pale / Rough Trade