Audiobooks – „Astro Tough“ (Heavenly Recordings)
Um die musikalische Vita von David Wrench zusammenzufassen, braucht man einen langen Atem. Also wortwörtlich. Hier eine kurze Liste an Künstler*innen, mit denen der walisische Produzent und Mischer bisher zusammengearbeitet hat: The xx, David Byrne, Manic Street Preachers, Goldfrapp, Glass Animals, Hot Chip, Four Tet, Bat For Lashes, Georgia, Jungle, Young Fathers. Und das sind längst nicht alle. Wenn eine LP im vergangenen Jahrzehnt besonders wegweisend war, gibt es eine große Chance, dass Wrench involviert war, von Caribous „Swim“ über FKA Twigs‘ „LP1“ bis zu Frank Oceans „Blonde“.
Bei solch umtriebigen Dienstleistungskünstlern ist es ja immer hochspannend, was für Musik diese Menschen „privat“, ohne Auftraggeber*in im Nacken, produzieren. Vorhang auf für Audiobooks, das Duo aus Wrench und der Sängerin, visuellen Künstlerin und Autorin Evangeline Ling. Und das ist, im Vergleich zu Wrenchs sonstiger Arbeit am Mischpult, eine ganz schön rohe Angelegenheit. Ihr 2018 veröffentlichtes Debütalbum „Now! (In A Minute)“ war komplett am Synthesizer improvisierter Avant-Pop, in dem Wrench als Musiker freidrehte und Ling am Mikrofon frenetische Spoken-Word-Passagen beisteuerte. „Astro Tough“, der nun erscheinende Nachfolger, ist ein wenig fokussierter, komponierter – was auch daran liegt, dass die vergangenen Monate das gemeinsame Improvisieren erschwert haben.
Ein Profi dreht frei
Leicht verdaulich ist die Musik von Audiobooks aber immer noch nicht. Und das ist auch gut so. „Astro Tough“ beginnt mit „The Doll“, einem bizarren Techno-Märchen. Über pulsierende Synths und Beats erzählt Ling im kühl-distanzierten Tonfall von einem Mädchen, das seine Puppe verlor – und von der Polizei auch keine Hilfe bei der Wiederbeschaffung bekommt. Dieser lakonisch seltsame Einstieg ist aber kein Vergleich zu „Lalala It’s The Good Life“ – in dem Lings Dada-Hookline in Hyper-Pop-artigem Autotune ertränkt wird.
Grundlegend lassen sich die Songs von „Astro Tough“ als catchy Synth-Pop bezeichnen. Doch wie bei den bereits erwähnten Beispielen ist immer irgendwas ein bisschen schräg. Der gemütlich groovende Maschinen-Dub von „The English Manipulator“ wird von Lings betont ungemütlichem Chaos-Gesang verzerrt. Ihre Stimme kann binnen Sekunden die Stimmung wechseln, von lieblichem Lalala zu rotäugigem Spuckgesang umschlagen. In „Blue Tits“ switcht sie innerhalb eines Satzes von ruhigem Sprechgesang zu hohem Gekreische. Auch der elektronische, das Album eröffnende Sound von Wrench entpuppt sich im Verlauf der LP als vielseitiger als gedacht: „Trouble In Business Class“ ist ein mit digitalen Mitteln erzeugtes Stück Barock-Pop, „Farmer“ eine zarte, mit Streicher-Ornamenten verzierte Ballade. Wrench ist, wie seine Vita zeigt, ein absoluter Profi – und „Astro Tough“ zeigt, was passiert, wenn sich so ein Profi dem Chaos hingibt.
Veröffentlichung: 1. Oktober 2021
Label: Heavenly Recordings