John Glacier – „Like A Ribbon“ (Young)
John Glacier watet durch den Nebel. Das ist keine müde Zote über das klischeehaft diesige Wetter ihrer Heimatstadt London, sondern vielmehr eine akkurate Beschreibung ihrer Klangkunst. Ihre Debüt-LP „Like A Ribbon“ beginnt inmitten von Rauchschwaden. Und verweilt dort auch. „Like a satellite in the dark in the light / Whereabouts in the clouds like a kite / Floating in the winds let the birds float by“, rappt sie in „Sattelites“. „Is it lust? / If so, we’ll let it burn to dust / In gold then we’ll let the fire up in smoke.“
Umgeben ist ihr Sprechgesang von rauschenden Radio-Samples und einer leicht hinterm Groove verschleppten Blues-Gitarre. Auch der nuschelige Flow der Musikerin und Produzentin wirkt zunächst so, als würde er knapp den Beat verfehlen, so wie es auch ihr US-Kollege Earl Sweatshirt auf seinen neueren, abstrakteren Tracks tut. Genau wie bei ihm braucht es einen Moment, um zu registrieren, dass diese Künstlerin nach ihrem ganz eigenen Zeitgefühl arbeitet.
Gefährlich faszinierender Nebel
Diese mysteriöse Aura umgibt Glacier auch außerhalb ihrer Musik. Viel ist über die Musikerin nicht bekannt, außer dass sie im Londoner Staddteil Hackney als Kind jamaikanischer Eltern geboren wurde. Der Grime, den sie in ihrer Jugend verehrte, schallt auch durch „Like A Ribbon“ – ist aber nur eines der Klangelemente, die diese LP durchziehen. Im Vergleich zu ihrem 2021er Minialbum „SHILOH: Lost For Words“ erklingen beispielsweise deutlich mehr Gitarren. Mal erinnern sie an die betrunken schlingernden Jazz- und Blues-Licks von King Krule, mal an die vibrierenden Lo-Fi-Sounds von Mk.Gee (der auch an diesem Album mitarbeitete) – und dann an den modernen Indie-Rock einer Nilüfer Yanya, wie in „Money Shows“. In „Ocean Steppin’“ fließt der samtene R&B-Gesang von Feature-Gast Sampha über dunkle 2-Step-Beats, irgendwo zwischen Burial und Kelela.
Über diese kunstvoll geknüpften Klangteppiche strickt Glacier als Texterin weitere Verbindungen, wie der Titel „Like A Ribbon“, „wie ein Band“, schon andeutet. Zwischen privaten und gesellschaftlichen Frustrationen, zwischen der eigenen und der sie umgebenden Geschichte. „If we’re walking in the rain that means we’ve fallen / The summer leaves, they always turn to gold“, rappt sie in „Home“. Ihre Sprache ist poetisch, voller Natur-Metaphern – auch wenn sie in den genretypischen Angriffsmodus geht: „In the garden, tell the snakes i’m ready / I’m a glacier, that’s why I look so deadly.“ In diesen dichten Rauchschwaden lauern aber auch so einige Gefahren. Man muss sich von John Glaciers eigenwilligem Flow an die Hand nehmen lassen. Und sich von ihr durch diesen faszinierenden Nebel führen lassen.
Veröffentlichung: 14. Februar 2025
Label: Young