Yard Act – „Where’s My Utopia?“ (Island Records)
Dass das Versprechen des schnellen Aufstiegs in der Musikindustrie ein ziemlich leeres ist, weiß jede Person, die schon einmal selbst mehr oder weniger ernsthaft Musik gemacht hat. Die tatsächliche Realität des professionellen Musikmachens ist für 99,9 Prozent der Teilnehmenden ein Kratzen am Existenzminimum. Denn: Alles, wirklich alles, kostet Geld. Mit wenig Garantie auf Wiedergutmachung. Instrumente, sonstiges Equipment, Touren, Plattenaufnehmen und dann auch noch wieder herausgeben. Zum Glück macht das alles auch Spaß, ansonsten würde der finanzielle Wahnsinn dieses Karrierewegs wahrscheinlich jeden interessierten Menschen komplett abschrecken.
Und doch hat das Versprechen seinen Reiz. Denn wenn es für die 0,01 Prozent klappt, dann geht alles unfassbar schnell. So wie im Fall der Band Yard Act. Die Gründungsmitglieder James Smith und Ryan Needham verbrachten die Zehnerjahre in diversen erfolglosen Gitarrenbands in Leeds, an besagtem Existenzminimum kratzend. Dann wurden sie 2019 zu Yard Act. Und nur drei Jahre später sind sie plötzlich auf dem Cover des NME. Ihr Debütalbum „The Overload“ ist auf Platz zwei der britischen Album-Charts – und Sir Elton John mit ihnen im Studio. Von „rags to riches“ innerhalb von 36 Monaten – Arbeitsämter hassen diesen Trick!
Niemand scheint über diesen rasanten Aufstieg überraschter als Yard Act selbst. Schließlich ist ihr nun erscheinendes zweites Album „Where’s My Utopia?“ in vielerlei Hinsicht eine Meta-Reflexion auf diese surreale Situation. Und die ist nicht positiv überrascht, sondern mitunter auch extrem bitter. Das ist erst einmal nicht verwunderlich: Yard Act machten sich mit vergiftetem Post-Punk ihren Namen, mit beißender Konsumkritik über tanzbaren Grooves. Doch nun richtet sich ihr kritischer Blick auch nach innen: Von „Post Punks latest poster boys“ singt James Smith über sich selbst, die auf der musikalischen Basisvon verstorbenen Helden wie Joy Division ihre eigenen neunmalklugen Kopien verkaufen.
Raus aus dem Post-Punk-Korsett
Was sich wie harsche Selbstkritik liest, klingt aber wundersamerweise ganz anders. Der besagte Post-Punk ist auf „Where’s My Utopia?“ deutlich in den Hintergrund gerückt – und macht Platz für einen durchaus facettenreichen Sound. Anstatt immer wieder die alte Gang-Of-Four-Formel runterzuschrammeln, klingt diese Band plötzlich so befreit wie noch nie. „An Illusion“ eröffnet das Album im an Beck aus der „Odelay“-Ära erinnernden Slacker-HipHop-Modus – später in „Down By The Stream“ kommen noch DJ-Scratchs dazu. Und das ist erstaunlicherweise nicht total cringe, sondern steht Smiths Sprechgesang ganz vorzüglich. Speziell „Down By The Stream“ klingt wie Sleaford Mods ohne den Lo-Fi-Sound, dafür mit einer wohlig das Mark erschütternden Bassline.
Anderswo experimentieren Yard Act mit Highlife-Gitarren („Blackpool Illuminations“), Disco-Geigen („Dream Job“) und Dance-Punk („When The Laughter Stops“). „Why the fuck was I still wondering what wankers would think of album two?“, singt Smith zum Ende des Albums – und es klingt wie das befreiende Statement. Schlüsselfigur für diese musikalische Abenteuerlust war Produzent Remi Kabaka Jr (Gorillaz), der die Band stets zu neuen Spielereien animierte. Mit „Where’s My Utopia?“ hat das Quartett auf jeden Fall erfolgreich das Post-Punk-Korsett abgeworfen. Wie haben sie das geschafft? Das verrät der besagte Song, in dem sie sich selbst als die Genre-Poster-Boys beschreiben. Das Stück erzählt auch die Entstehung dieser Band, wie Smith und Needham, zwei „broke millennial men“, gemeinsam ihre ersten Songs erträumten. „We reeled off all of our hopes and dreams and made a list / And there was one singular ambition we had / That most musicians of our ilk aren’t willing to admit.“ Und was ist dieses Mantra? „We make hits.“ Es kann so einfach sein.
Veröffentlichung: 1. März 2024
Label: Island Records