Godmother Of Punk & Enfant terrible: Nina Hagen wird 70!

Von Rainer Szimm, 11. März 2025

Pressebild von Nina Hagen, die 70 Jahre alt wird.

Nina Hagen hat im Laufe ihrer Karriere immer wieder angeeckt (Foto: Jim Rakete)

Nina Hagen ist alles, nur nicht langweilig. Die Sängerin, Schauspielerin, Tierschutzaktivistin, politisch und sozial Engagierte, Feministin, der Bürgerschreck und die Diva wurde im Westdeutschland der späten 70er- und 80er-Jahre ein Star, bespielte aber auch im Ausland die großen Bühnen. Mit ihrer exzentrischen, schrillen, oft witzigen Art und ihrer beeindruckenden Stimme schüttelte sie Kultur und Gesellschaft ordentlich durch. Hagen lehnte sich immer wieder gegen gesellschaftliche Konventionen auf und hatte keine Angst vor Provokationen. Auch künstlerisch entzog sie sich den Kategorien. Punk, Deutschrock, Gospel oder Brecht-Weill-Lieder, Auftritte in Otto-Filmen oder als Synchronsprecherin in einem Biene-Maja-Film. Hagen beeindruckte durch einen genrefluiden Stilmix. Allerdings irritierte sie teils durch Geschichten über Ufo-Sichtungen, ihre unberechenbaren Auftritte in Talk-Sendungen oder abfällige Kommentare über Gesangskolleginnen. Die „Mutter des Punk“ eckte in ihrer über 50 Jahre umspannenden Karriere immer wieder an.

Catharina „Nina“ Hagen wurde am 11. März 1955 in Ost-Berlin als Kind der Schauspielerin Eva-Maria Hagen und des Drehbuchautors Hans Oliva-Hagen geboren. Die Eltern trennten sich wenige Jahre nach Ninas Geburt. Ihre Mutter ging 1965 eine Liaison mit dem DDR-Kritiker Wolf Biermann ein, der Hagens Ziehvater wurde. Diese Beziehung erregte naturgemäß die Aufmerksamkeit der Stasi, und die Karriere der Mutter wurde ausgebremst: Eva-Maria Hagen durfte fast nur noch auf Provinzbühnen auftreten. Ninas Wunsch, die Schauspielschule zu besuchen, wurde durch die Stasi verhindert. Sie bekam zwar dennoch einige kleine Filmrollen, wendete sich dann aber verstärkt der Musik zu. Nach abgeschlossener Gesangsausbildung landete sie als Sängerin der Leipziger Band Automobil 1974 den Hit „Du hast den Farbfilm vergessen“, der auch eine verborgene ironische Abrechnung mit dem DDR-Mief war. Hagen hatte genug von der ostdeutschen Tristesse und protestierte 1976 zusammen mit ihrer Mutter gegen die gerade erfolgte Ausbürgerung von Biermann. Im Dezember des Jahres verließ Nina Hagen die DDR in Richtung West-Berlin und entdeckte kurz darauf die Londoner Punkszene.

Weibliche Selbstbestimmung

Sie traf Johnny Rotten von The Sex Pistols und freundete sich mit Ariane Forster alias Ari Up, Sängerin der feministischen Punk-Band The Slits, an, mit der sie später den Song „Pank“ schrieb. Zurück in der Bundesrepublik wurde sie schnell zu der einzigartigen Nina Hagen, die in den folgenden Jahren mit ihrem Bühnengebaren, ihrer Sangeskunst und der rebellischen Grundeinstellung Grenzen der Popmusik auslotete, aber auch an gesellschaftlichen Tabus kratzte.

Ihre Zusammenarbeit mit dem Musiker Reinhold Heil und drei ehemaligen Mitgliedern der westdeutschen Politrockband Lokomotive Kreuzberg schuf das musikalische Fundament für zwei Schallplatten, die wohl die musikalischen Höhepunkte ihrer Karriere darstellen und zu Dokumenten des damaligen Zeitgeistes wurden. Die Nina Hagen Band veröffentlichte ihr gleichnamiges Debüt im August 1978 und entfesselte einen musikalischen Orkan. Hier waren keine unbeholfenen Grobtechniker bei der Arbeit, sondern Profis, die dem Album eine enormes Spektrum verpassten. Reggae, Rock ’n’ Roll, Punk, Rock-Balladen und dazu Hagens Texte, die sie als selbstbestimmte Frau, als Urgewalt zeigten. In „Unbeschreiblich Weiblich“ forderte sie das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein, in „Auf’m Bahnhof Zoo“ wird die lesbische Liebe gefeiert und beim „TV-Glotzer (White Punks On Dope)“, ein Cover von The Tubes, wird Konsumkultur und Entfremdung aufs Korn genommen. Ein kommerzieller Erfolg: In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden erreichte die Platte Gold-Status und wurde in diesen Ländern insgesamt rund 400 000-mal verkauft. Die Band hatte einen TV-Auftritt im „Rockpalast“ und tourte ausgiebig.

Bereits vor Erscheinen des zweiten Longplayers „Unbehagen“ im Februar 1980 hatte sich Hagen mit ihren Bandkollegen verkracht. Von Starallüren und Egozentrik war die Rede. Daher nahmen sie die Platte weitgehend getrennt voneinander auf. Der Langspieler wies wieder eine stilistische Bandbreite zwischen Dub und Rock auf und wurde auch wieder in Frankreich zum Verkaufshit. Hagen suchte sich andere Mitstreiter*innen und sorgte international auf vielen Feldern für (mediale) Aufregung.

An der Seite des niederländischen Rockmusikers Herman Brood und der US-Sängerin Lene Lovich drehte sie den Film „Cha Cha“ und war auch am gleichnamigen Soundtrack beteiligt. Sie gründete eine neue Band um ihren damaligen Freund, den niederländischen Gitarristen Ferdinand Karmelk. Hagen löste im August 1979 in der österreichischen Talkshow „Club 2“ einen medialen Aufschrei aus, als sie explizit erklärte, wie weibliche Lust zu befriedigen sei. Nach einer gefloppten Tour in Deutschland zog es Hagen 1980 in die USA, wo im Mai 1981 ihre Tochter Cosma Shiva auf die Welt kam.

Hagen hatte sich seit Anfang der 80er-Jahre verstärkt mit verschiedenen Religionen und Spiritualität beschäftigt und berichtete sogar von einer Ufo-Sichtung in Malibu, die auf ihrem 1982 erschienenen experimentellen Album „NunSexMonkRock“ im Track „Ufo“ thematisiert wurde.

Kontrovers & streitbar

1983 erschien im Zusammenspiel mit dem Starproduzenten Giorgio Moroder das wieder englischsprachige Dance-Pop-Album „Fearless“ mit zwei in den USA erfolgreichen Single-Auskopplungen. Der 1985er-Langspieler „In Ekstasy“, diesmal im Punk-Gewand, schlug zwar nicht so ein, die Single „Universal Radio“ schaffte es aber zum Club-Hit. Hagen wurde in die Talkshow von David Letterman eingeladen und spielte beim Musikfestival Rock in Rio. Sie war jetzt ganz oben. Auch im West-Fernsehen konnte sie sich 1986 in der „Nina Hagens TV-Show“ als Paradiesvogel in verschiedenen Bühnen-Outfits zeigen und ist auch sonst Dauergast im deutschen Fernsehen.

Ihre Faszination für Esoterik, Aliens und Ufos kam derweil immer mehr zum Tragen. Und wenn Kritiker*innen diese nicht teilen wollten, konnte es schon mal ungemütlich werden. So pöbelte Hagen in der Sendung „Menschen bei Maischberger“ 2007 gegen den Wissenschaftsjournalisten Joachim Bublath, weil der Skepsis an der Existenz von Außerirdischen äußerte. Zwei Jahre vorher hatte es die Autorin Jutta Ditfurth gewagt, Hagen als „esoterisch ein bisschen durchgeknallt“ zu bezeichnen, was Hagen mit dem wütenden Wortschwall „Ich finde es furchtbar, was diese dicke Frau mit mir macht. Jutta Ditfurth, du bist eine blöde, blöde Kuh“ quittierte. Auch gegen nicht genehme Sängerinnen teilte sie deftig aus. Sie nannte Lady Gaga eine „satanische Schlampe“ oder kanzelte in einer Art Generalabrechnung 2010 Künstlerinnen wie Beyoncé, Rihanna, Britney Spears und Madonna in einem Interview mit der Zeitung Der Standard ab.

Mit dem Longplayer „Personal Jesus“ von 2010 zeigte die 2009 getaufte Hagen dann wieder, was für eine stimmgewaltige und wandlungsfähige Sängerin sie ist. Die Platte enthält neben dem titelgebenden Depeche-Mode-Cover traditionelle Gospel- und Bluesstücke, die Hagens gefestigten christlichen Glauben und ihre tiefe emotionale Bindung zu Jesus unterstrichen. Mit dem Album konnte sie an alte Charterfolge wie vor gut 30 Jahren anknüpfen.

Auch in den folgenden Jahren kam man an ihr nicht vorbei. Sei es durch eine Autobiografie oder das 2011 erschienene 70s-lastige deutschsprachige Album „Volksbeat“, das sich den Themen Liebe, Frieden und der sozialen Gerechtigkeit verschrieb. 2022 veröffentlichte sie ihr bislang letztes 14. Soloalbum „Unity“, das mit dem Titeltrack eine Hommage an die Black-Lives-Matter-Bewegung enthielt. Schon ein Jahr vorher konnte man ablesen, welchen Stellenwert Nina Hagen in Deutschland hat. Angela Merkel wünschte sich für ihre Verabschiedung als Bundeskanzlerin das Lied „Du hast den Farbfilm vergessen“.

Nina Hagen im Programm von ByteFM

Anlässlich ihres 70. Geburtstages hat sich auch ByteFM Moderator Conor Körber am 5. März 2025 in seiner Sendung Ordnung muss sein ausgiebig mit dem Schaffen von Nina Hagen befasst. Mitglieder im Förderverein „Freunde von ByteFM“ können die Sendung in unserem Archiv nachhören. Ebenfalls dort zu finden ist eine Ausgabe der Sendung Flashback, die Ingo Scheel dem Debütalbum der Nina Hagen Band gewidmet hat.

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Diskussionen

1 Kommentare
  1. posted by
    Frank Huppasch
    Apr 14, 2025 Reply

    Heyo,
    vor 40 Jahren hast du auch schon über Konzerte in einer Tageszeitung geschrieben, oder?
    Außerdem hattest du Locken und warst mit mir beim WFC.
    Stimmt das ?

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