Neue Platten: Deerhoof – „La Isla Bonita“

Von hannesstutz, 5. November 2014

Cover des Albums La Isla Bonita von DeerhoofDeerhoof – „La Isla Bonita“ (Altin Village & Mine)

8,1

Deerhoof machen zu ihrem 20-Jährigen das Dutzend voll und beschenken sich mit einem Album, das zunächst auf den klangvollen Titel „La Isla Bonita“ – die schöne Insel – hört und demnach auf Madonnas gleichnamigen Nr.-1-Hit aus dem Jahre 1987 Bezug nimmt. Gehostet wird die runde Geburtstagsparty (zumindest in Europa) auf dem qualitativ herausragenden Leipziger Label Altin Village & Mine, dessen jüngste Veröffentlichungen („Life Under Palmtrees“ von Jason & Theodor, „Unbreak My Heart“ von Young Hare u. a.) ähnlich paradiesische Assoziationen zulassen und ebenso wenig vor vermeintlich „cheesigen“ Referenzen zurückschrecken.

Aber Deerhoofs Zitierfreudigkeit wurde im Laufe der Jahrzehnte v. a. auf ihre Bewunderer transferiert. So wirkte ihre Strahlkraft auf solch omnipräsente Vertreterinnen und Vertreter, die mitunter jenen kommerziellen Erfolg verbuchen konnten, der ihrer Inspirationsquelle stets verwehrt blieb: St. Vincent, Dirty Projectors, tUnE-yArDs oder auch die Flaming Lips berufen sich allesamt auf Deerhoof, haben deren DNA adaptiert und verinnerlicht. Von Seiten der Popkritik wurden die vier aus Kalifornien bzw. Japan seit jeher für die fehlende Funktionalität ihrer Songs geschätzt. Martin Büsser schrieb einst über Deerhoof: „Die Verbindung von Pop und Avantgarde muss nicht notgedrungen im Staatstheater enden oder sich danach anhören“.

Dementsprechend unkonventionell klingt auch „La Isla Bonita“. Seitdem sich die Mitglieder in so ziemlich alle geographischen Richtungen der Vereinigten Staaten verteilt haben, verlagerte sich das jeweilige Betätigungsfeld zunehmend in Richtung Produktion und (Re-)Mixing (u. a. für Asobi Seksu, Xiu Xiu, Delta 5, Parenthetical Girls und E.D. Sedgwick), was nun deutlich spürbar ist. Die Soundästhetik auf „La Isla Bonita“ changiert zwischen schroff und irgendwie eingängig („Black Pitch“), elegisch und nervös („Paradise Girls“), kurz: zwischen Nerv- und Nerdmusik.

Die scheinbare Schönheit des ätherischen Dream-Poppers „Mirror Monster“ trifft dabei auf die kantige Sperrigkeit von „Last Fad“. „How do you want to live?“, fragt Sängerin und Gitarristin Satomi Matsuzaki gewohnt unbeschwert in „Doom“ und gibt ein paar Takte später mit einem flatternden und doch so lebensbejahenden „Deny!“ eine mögliche Antwort darauf. Die Dub-infizierte Rhythmik von „Tiny Bubbles“ kommt derart erfrischend daher, als hätte der frühe britische Post-Punk um Bands wie The Pop Group und This Heat, The Slits und Lifetones nie stattgefunden. Getreu dessen Prinzip des „Rip It Up And Start Again“ vollbringen es Deerhoof selbst 35 Jahre später, alles einzureißen, um in diesem Sinne eine gänzlich originäre Formen- und Klangsprache zu entwickeln, die eben ihren Wiedererkennungswert ausmacht. Auch 2014 negieren sie gewohnte bzw. tradierte Hörgewohnheiten, dekonstruieren gängige Rockismen, die dazugehörigen Song-Schemata und setzen aus all diesen Fragmenten ein vielschichtiges Album mit der so Deerhoof-typischen Weirdness zusammen.

Auch wenn die Rezeption Deerhoofs mitunter in einem diffusen Feld aus Noise-Rock, Art-Punk und Queer-/Genderkontext stattfand, erscheint jenes Korsett doch zu eng. So versteht es das Quartett aus San Francisco wie kaum eine zweite gegenwärtige Band, ihren ganz eigenen Kosmos aus besagtem Krach und Pop, Atonalität und Minimalismus zu erschaffen. Verwurzelt im (DIY-)Punk, bestand und besteht auch weiterhin Deerhoofs spezifischer Verdienst darin, ihren Entwurf einer leidenschaftlichen (Gitarren-)Musik auf so unprätentiöse wie mitreißende Weise aufzuzeigen und so eine Entsprechung von konsequenter künstlerischer Selbstverwirklichung zu sein.

Label: Altin Village & Mine
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